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Der IWF hat arme Länder im Visier

Serdar Derventli

Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für die nächste Zukunft einen umfangreichen Einbruch der Weltwirtschaft. Nach Ansicht der Chefökonomin des IWF, Gita Gopinath, kann man diese Krise mit der großen Krise 1929 vergleichen. Deshalb habe der IWF seine Wachstumsprognosen so stark nach unten korrigieren müssen. Auch die IWF-Chefin erwartet eine Krise der Weltwirtschaft, die wie in den 1930er Jahren lange anhalten werde.

Der IWF und die Weltbank führten ihre traditionelle gemeinsame Frühjahrstagung in diesem Jahr erstmals virtuell durch. Der von Gopinath vorgestellte Bericht zur Lage der Weltwirtschaft war der erste Beitrag der Tagung, die am 14. April begann. Als alleiniger Tagesordnungspunkt widmete sich die Tagung den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft.

3-POZENTIGES SCHRUMPFEN

Der IWF hatte letztes Jahr für 2020 einen Rückgang beim Wachstumstempo von 0,1 Prozent und somit ein Wirtschaftswachstum vom 3,4 Prozent prognostiziert. Jetzt wird diese Prognose nach unten korrigiert. Nach optimistischsten Schätzungen erwarte man ein Schrumpfen von 3 Prozent. Nach Berechnungen des IWF würde das bedeuten, dass die Auswirkungen 30 mal stärker würden, als bei der letzten Krise.vGopinath wies darauf hin, dass die Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals im Jahr 2009 um 0,1 Prozent schrumpfte: „Damals waren die beiden Schwellenländer China und Indien zum Motor der Weltwirtschaft geworden. Ob in den Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsländern – heute schrumpft die Wirtschaft. Zwar werden China mit 1,2 und Indien mit 1,9 Prozent zu den wenigen Ausnahmeländern mit wachsender Wirtschaft gehören, allerdings werden auch die Wachstumsraten in diesen Ländern ein Schrumpfen der Weltwirtschaft nicht verhindern können. Die Wachstumsraten der Schwellenländer sind nicht mehr ausreichend, um der Motor der globalen Wirtschaft sein zu können.“

Gopinath rechnet mit einem weitreichenden Schrumpfen der Wirtschaft der kapitalistischen Industrieländer. Nach ihrer Aufzählung wird man in diesen Ländern folgende BIP-Veränderungsraten verzeichnen: in den USA 5,9, in Japan 5,2, in Deutschland 7, in Großbritannien 6,5, in Frankreich 7,2, in Russland 5,5, in Italien 9,1 und in Spanien 8 Prozent.

PROGNOSEN FÜR 2021 WOMÖGLICH OHNE AUSSAGEKRAFT

Der wirtschaftliche Einbruch in diesem Jahr wird sich nach Ansicht von IWF auch auf die kommenden Jahre auswirken. Grundsätzlich rechnet er 2021 mit einem Wirtschaftswachstum von 5,8 Prozent. Trotzdem rechne man für 2020 und 2021 mit einem Gesamtverlust von 9 Billionen US-Dollar.

Nach Gopinath ist ein Schrumpfen der Weltwirtschaft um 3 Prozent eine „optimistische Schätzung“: „Die Krise besteht aus zwei Phasen: einer Phase der Eingrenzung der Virusausbreitung mit weitgehendem Stillstand großer Teile der Wirtschaft. Und einer zweiten, der Erholungsphase. Wie tief die Rezession wirklich wird, hängt von der Dauer der ersten Phase ab. Wenn sie nicht im ersten Halbjahr beendet werden sollte, würde die Weltwirtschaft um weitere drei Prozent und somit insgesamt um sechs Prozent schrumpfen, erwartet der IWF. Sollte sie gar bis ins Jahr 2021 anhalten, würde der BIP-Verlust um acht Prozent größer ausfallen als in der aktuellen Prognose.” Mit anderen würde die globale Wirtschaft in diesem Fall im 11 Prozent schrumpfen.

Erhöhte Gesundheitsausgaben sind essenziell für die Krisenbewältigung“, so Gopinath: „Gesundheits- und Wirtschaftsgewinne gegeneinander aufzurechnen, funktioniert nicht.”

SCHLECHTE AUSSICHTEN FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT

Gopinath verwies auf die Notwendigkeit „einer multilateralen Zusammenarbeit“, um den Eintritt in eine langanhaltende Krise zu verhindern und den wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu beschleunigen. Allerdings verschlechterte sich nach der Krise von 2009 die Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Ob bei G7 oder G20, die Länder sind nicht auf eine Zusammenarbeit, sondern darauf fokussiert, wie sie sich gegenseitig das Wasser abgraben können. Vor dem Hintergrund der letzten Entwicklungen wie z.B., dass die USA internationale Zoll- und Handelsverträge kündigen und vermehrt bi- oder trilaterale Verträge aushandeln, dass zwischen allen Industrieländern ein Zoll- und Handelskrieg entbrannt ist, ist es eher illusorisch zu erwarten, dass sie jetzt in eine umfassendere Zusammenarbeit treten.

Bei der Krise von 2008/09 wurden weltweit Sicherheiten von 20 Billionen Dollar hinterlegt. 4,9 Prozent vom weltweiten BIP, also 2,96 Billionen Dollar wurden gegen die Folgen der Krise eingesetzt. Insbesondere das von China geschnürte Konjunkturpaket im Umfang von 500 Mrd. hatte zur Entspannung in Industrieländern geführt.

FAKTOREN, DIE DIE KRISE VERSTÄRKEN KÖNNTEN

Ein Faktor, der die Krise vertiefen könnte, besteht darin, dass die Investmentfonds ihre Investitionen aus den Entwicklungsländern abziehen und in Industrieländer und vor allem in die USA verlegen könnten. Im IWF-Bericht heißt es dazu: „Wie in jeder Unsicherheitsphase ziehen zudem bereits Investoren ihr Geld aus Schwellenländern ab. Mehr als hundert Milliarden Euro waren es bereits in den ersten Wochen. Der Abzug der Devisen wiederum lässt die lokalen Währungen abstürzen: Es folgt zwangsläufig eine Schuldenkrise, weil Schwellen- und Entwicklungsländer ihre Schulden in Dollar nicht mehr bedienen können.“ Nach Ansicht von IWF wurden Schwellenländer von heute auf morgen „aus einer langjährigen Phase stabilen Wachstums herauskatapultiert“.

Der andere Faktor ist das Coronavirus. Auch wenn man annimmt, dass in den Schwellenländern weniger Corona-Fälle zu verzeichnen sind, als in den Industrieländern, könnte dies nach Ansicht der IWF-Chefökonomin Gopinath „auf mangelnde Tests zurückzuführen sein. Und auch, dass die Bevölkerung in Schwellenländern in der Regel jünger ist, dürfte die Länder kaum weniger angreifbar machen. Denn dafür sind ihre Gesundheitssysteme deutlich schwächer als in den reichen Industriestaaten, weshalb die Lage in diesen Ländern dramatischer werden dürfte als in den Industriestaaten.“

ABHÄNGIGE NOCH ABHÄNGIGER MACHEN …

Der Einbruch der Wirtschaft in den Schwellen- und Entwicklungsländern stellt für imperialistische Institutionen wie den IWF zugleich eine Gelegenheit dar. Wenn sie sie ergreifen, treten sie wie der IWF als das Schaf im Wolfspelz und als „Retter der Ärmsten“ auf. Die IWF-Direktorin Kristalina Georgiewa verkündete, in ihrem Kampf gegen die Corona-Pandemie werde man die armen Länder in den nächsten sechs Monaten mit Notkrediten unterstützen: „Das gewährt unseren ärmsten und schutzbedürftigsten Mitgliedern Zuschüsse zur Deckung ihrer IWF-Schuldenverpflichtungen für eine erste Phase in den nächsten sechs Monaten und wird ihnen helfen, mehr ihrer knappen finanziellen Ressourcen für lebenswichtige medizinische und andere Hilfsmaßnahmen zu verwenden.“

Der IWF bietet nach Angaben seiner Chefin an 25 arme Länder „Hilfen und Unterstützung“ aus seinem Katastrophenfonds CCRT an. So soll verheimlicht werden, dass dadurch in Wahrheit die Schulden dieser Länder steigen und sie noch abhängiger gemacht werden. Helfen würde heute eher ein Schuldenerlass, wie er auch in der Krise von 2008/09 gefordert wurde. Andernfalls wird die Zahl der Todesopfer in diesen Ländern mit der Ausbreitung der Pandemie in Hunderttausende schießen.

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