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‚Die Gerechtigkeit hat gesiegt!‘

Lagerarbeiter bei Farbtex werden wählen

Sidar Carman

Nicht immer gelingt es uns, einen Weg in der gewünschten Zeit zu absolvieren. Manchmal fordert er viel Geduld ab. Kein angenehmer Zustand, wenn die Füße schneller laufen wollen als sie können. Auf der Stelle zählen, wenn man doch eigentlich schon mehrere Schritte weiter hätte sein können… In solchen Momenten kann vieles passieren, u.a. Unruhe, Frust, Zweifel und irgendwann vielleicht auch Resignation. Um am gesetzten Ziel trotzdem festhalten zu können und solche Momente zu überstehen, braucht es einen starken Willen. Zugestanden, eine Stärke, die leichter gesagt ist als getan. Aber nicht unmöglich, wie junge Arbeiter im Farbtex Zentrallager bei Stuttgart beweisen.

Farbtex verkauft an 33 Standorten in ganz Süddeutschland Farbe, Bodenbeläge und Heimtextilien. Das Unternehmen beschäftigt insgesamt rund 300 Mitarbeiter. Im 12.000 qm großen, hochmodernisierten Lager arbeiten rund 80 Lageristen, Stapler- und Tourenfahrer. Es ist damit auch der größte Standort des Unternehmens. Von der Außenwelt unbemerkt, ist genau hier über Monate hinweg der Unmut der Lagerarbeiter über die ungerechten Arbeits- und Lohnbedingungen gewachsen. Das Lager ist die Achillesferse des Unternehmens. Hier lagern auf tausenden Quadratmetern in meterhohen Regalen die Waren, die jede Nacht in die Verkaufsstellen geliefert werden. Steht hier ein Rädchen still, hätte das weitgehende Folgen auf die kompletten Abläufe im gesamten Unternehmen. Auf die Aussicht, dass ein Betriebsrat, der zukünftig seine „Macht“ im Betrieb nicht nur hinterfragt, sondern sie im Rahmen seiner Möglichkeiten einschränken könnte, reagierte der Arbeitgeber mit entsprechender Härte.

Gleich nachdem der Wahlvorstand Anfang Oktober gewählt worden war, zerrte der Arbeitgeber die Lagerarbeiter mehrere Male vor Gericht. Erst vor das Stuttgarter Arbeitsgericht, schließlich auch vor das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 9.1.2020. Die Richter beider Gerichte wiesen den Arbeitgeberantrag auf Abbruch der Wahl zurück. Ein wichtiger Erfolg und Sieg für den Wahlvorstand um Yavuz Aydin, Ercan Dilek und Selahattin Ekinci. Ihr Kollege Hayati Dilek wurde kurz vor der Wahl gekündigt. Für ihn aber kein Grund, sich vom gemeinsamen Vorhaben zu verabschieden oder sich nun außerhalb der gemeinsamen Sache zu sehen. Er machte weiter und kämpfte gegen seine Kündigung und für den Betriebsrat. Momente, sich demoralisieren zu lassen, ließ er nicht zu. Immer wieder sprach er seinen Jungs Mut zu, telefonierte mit den Kolleg*innen im Lager, informiert sie über den Stand der Dinge und organisierte so den Rückhalt bei der Mehrheit der Lagerarbeiter, die notwendig war, um die erste Wahl zu gewinnen. So ist es auch geschehen, Anfang Oktober letzten Jahres.

Was in den letzten Monaten die Lagerarbeiter im Farbtex Zentrallager in Herrenberg an den Tag gelegt haben, ist eben ein Beispiel, was es heißt, einen starken Willen zu haben. Seit Monaten kämpfen dort die Arbeiter*innen für ihr Recht auf einen Betriebsrat. Doch bislang konnte die Wahl nicht eingeleitet werden, weil sie durch den Arbeitgeber mit juristischen Verfahren monatelang blockiert wurde. Nun hat auch das Landesarbeitsgericht den Lagerarbeitern das Recht auf einen eigenen Betriebsrat zugesprochen. „Ein anderes Urteil hätte ich mir nicht vorstellen können“, sagt Yavuz Aydin. Er ist Vorsitzender des Wahlvorstands und musste ungewollt in den letzten Monaten einen Crashkurs im Arbeitsrecht über sich ergehen lassen. Doch niemals ließ er sich davon einschüchtern. Auch nicht dann, als er und seine Kollegen gleich nach der Wahl zum Wahlvorstand in das juristischen Verfahren gedrängt wurden und dort ausharren mussten. „Ich habe nie an unserem Ziel gezweifelt. Ich war immer zuversichtlich. Jeder konnte doch sehen, was der Arbeitgeber getrieben hat. Der Arbeitgeber wollte die Betriebsratswahl wissentlich verhindern. Und das konnte und musste doch jeder Richter auch sehen!“

„Die Gerechtigkeit hat gesiegt“, sagt Ercan Dilek. Er ist der jüngste der Arbeiter im Wahlvorstand und fügt hinzu „Wir kämpfen nicht nur für unser Recht, sondern in erster Stelle für das Recht aller Kolleg*innen im Lager. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nicht ein Sieg für den Wahlvorstand, sondern für alle Kolleg*innen im Lager.“ Ercan ist der jüngere Bruder von Hayati, der zwischenzeitlich eine neue Stelle in einem großen Automobilhersteller gefunden hat. Während wir vor dem Gerichtssaal auf die Verhandlung warteten, rief er dem Arbeitgeber und den Anwälten laut zu: „Mein Bruder arbeitet jetzt in einem Betrieb, wo es einen Betriebsrat gibt!“. Dabei zwinkert er uns zu und lächelt.

In der Wertewelt dieser jungen Arbeiter gibt es keinen Platz für gekünstelte Gesten oder gespielte Diplomatie. Dinge werden so genannt, wie sie sind. Kollegen sind Kollegen. Arbeitgeber sind Arbeitgeber und stehen auf der anderen, gegensätzlichen Seite. Und eben dieser griff die Lagerarbeiter nicht nur juristisch an, sondern hatte in den letzten Monaten versucht, einen Keil zwischen ihnen zu treiben. Dabei bewegen sich die Maßnahmen zwischen Bestrafung der Kollegen des Wahlvorstands und ihrer Entfernung vom Rest der Lagerarbeiter. „Der Arbeitgeber hat alle unsere Positionen geändert. Yavuz, Selo und ich mussten unsere Arbeitsstelle abgeben. Gleichzeitig wurden neue Mitarbeiter eingestellt. Sie wurden nur deswegen eingestellt, um uns von unseren Positionen herauszunehmen.“ erklärt Ercan und führt weiter aus. „Uns wurden wissentlich Arbeiten gegeben, die unsere Gesundheit schädigen. Auf unsere Gesundheit wird einfach geschissen! Wir werden von den anderen Kollegen getrennt. Selo ist eigentlich Lagermeister. Er muss seit einiger Zeit Touren fahren. D.h. er wurde als Fahrer eingestellt, damit er keinen Kontakt zu den anderen hat.“

Mit dem juristischen Sieg der Lagerarbeiter des Farbtex Zentrallagers in Herrenberg bei Stuttgart ist nun der formale Weg frei für die Betriebsratswahl. Der nächste Schritt kann nun getan werden. Ob die juristischen Verfahren zum Fall damit beendet sind, ist offen. Aber die Kollegen des Wahlvorstands haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, dem Arbeitgeber auf ganzer Linie die Stirn zu bieten. Das verdient Achtung und Respekt. Nun werden die Ärmel hochgekrempelt und die Wahl durchgeführt.

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