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„Die Natur hat uns dieses Risiko schon lange geflüstert. Aber jetzt schreit sie“

Özgün Önal

Zerstörung der Urwälder ist im Jahr 2020 um 12 Prozent gestiegen! Experten sind sich einig, dass das Bestehen der Regenwälder als CO2-Speicher ein wichtiger Aspekt im Kampf gegen den Klimawandel ist. Zudem ist der Wald der Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten.

Dennoch wurden 2020 weltweit 4,2 Millionen Hektar Urwald zerstört – auch während oder trotz der Corona-Pandemie. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass die Covid-19-Beschränkungen dazu geführt haben, dass es mehr illegale Ernten gab, weil die Wälder weniger geschützt waren. Zudem könnte das Schlimmste noch bevorstehen, wenn Länder den Schutz der Wälder aufheben, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Forscher gehen davon aus, dass die Zerstörung tropischer Urwälder im vergangenen Jahr 2,64 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt hat. Das entspräche den jährlichen Emissionen Indiens oder 570 Millionen Autos.

Bedrohte Naturvölker

Im Gegensatz zu Wäldern in unseren Breiten, bildet sich auf Böden in tropischen Regenwäldern keine fruchtbare Humusschicht: Ohne das schützende Kronendach wird durch Regenfälle die Humusschicht weggespült (Erosion) und die Nährstoffe werden aus dem Boden ausgewaschen. Gerade im tropischen Regenwald geht dies besonders schnell, da wegen des schnellen Abbaus der organischen Substanz (Mineralisierung) die Humusschicht besonders dünn ist. Innerhalb kurzer Zeit verarmt der Boden so stark, dass nichts mehr auf ihm wachsen kann. Wiederaufforstungen sind dann nicht mehr oder nur mit sehr hohem Aufwand möglich.

Wenn der Wald zerstört wird, werden auch Menschen ausgewiesen, deren Vorfahren seit Tausenden von Jahren im und außerhalb des Waldes leben. Heute ist das Überleben indigener Völker ernsthaft bedroht. Dazu gehören beispielsweise die Awá-Indianer in Brasilien, die Pgmi in Afrika, die Penan in Malaysia und viele andere ethnische Gruppen. Denn als die Bulldozer der Holzunternehmen Tiere und Pflanzen zerstörten, wurde auch der „Lagerraum“ der Förster geplündert. Darüber hinaus leiden Millionen von Landwirten unter der Zerstörung tropischer Regenwälder, weil sie intakte Wälder benötigen, um Wasser zu speichern, um die Regen- und Trockenzeit auszugleichen.

Deutsche Verantwortung

Jetzt stellt sich die Frage, wer hinter der Zerstörung der Regenwälder steckt. Man glaubt es kaum: Die EU und insbesondere Deutschland sind Mitschuld an der Abholzung der Regenwälder!

Eines der Beispiele sind die Bergbauunternehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat Deutschland allein im Jahr 2018 mindestens 17,8 Millionen Tonnen Eisenerz aus Brasilien importiert. Maschinenhersteller wie Siemens und ThyssenKrupp liefern Geräte für den Bergbau.

Auch das deutsche Unternehmen Bayer AG verursacht mit der Lateinamerikanischen BASF-Tochter (börsennotierter und größter Chemiekonzern) die Rodung der Regenwälder durch verschiedene digitalisierte Innovationen, die den Unternehmen und der brasilianischen Regierung als Profit zurückkehrt.

Hierfür ist das EU-Mercosur-Vertrag verantwortlich. Dies ist ein Handelsabkommen zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Kurz gesagt, fördert es „Fleisch gegen Autos“: Die EU-Kommission will die Einfuhr von Agrarprodukten wie Rindfleisch, Soja und Bio-Ethanol aus Südamerika steigern. Im Gegenzug sollen die Exporte europäischer Unternehmen z.B. von Autos, Maschinen oder Chemieprodukten in die Mercosur-Staaten ausgeweitet werden. Um das zu erreichen, sollen Zölle gesenkt und Einfuhrquoten erhöht werden. Nachdem der Prozess des Abkommens jahrelang ins Stocken geraten war, einigten sich die Vertragspartner*innen im Juni 2019 auf einen Entwurf.

Mercusor-Abkommen abschaffen!

Etliche EU-Staaten, darunter Frankreich und Irland haben dem Abkommen nicht zugestimmt. Auch Österreich hat sich auf ein „Nein“ festgelegt. Doch Deutschland unterstützt das Abkommen weiterhin.

Schon jetzt roden und verbrennen Agrarkonzerne viele Quadratkilometer Regenwald, um Platz für Weide- und Anbauflächen zu schaffen. Eine Ausweitung der Agrarproduktion für den Export nach Europa bedeutet, dass noch mehr Regenwald abgeholzt und verbrannt wird – eine Katastrophe für das Klima, die Natur und die dort lebenden Völker.

Der ultrarechte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, seit Herbst 2018 im Amt, sieht im Regenwald vor allem Profit. Er strich die Gelder des Umweltministeriums etwa für die Bekämpfung von Waldbränden zusammen und stellt immer weniger Geld für die Überwachung des Regenwaldes zur Verfügung. Illegale Holzfäller haben so ein leichtes Spiel. 2019 wurden knapp 9.166 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt – ein Anstieg von 85 Prozent gegenüber 2018.

Bolsonaro schert sich auch nicht um die Schutzgebiete der indigenen Völker im Regenwald. Er will die Gebiete für Bergbau und Viehzucht öffnen, um den Fleischpreis möglichst niedrig zu halten. Der Lebensraum der Indigenen wird immer kleiner, aber Mercusor schreibt es nun mal vor.

Das Abkommen enthält zwar auch Aussagen zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des Klimawandels – doch nichts davon ist einklagbar und wie es schön heißt: Papier ist geduldig. Wenn ein Staat gegen die Regeln verstößt, haben die anderen keine Möglichkeit, ihn zur Einhaltung zu verpflichten oder Strafen zu verhängen. Damit sind die Umwelt- und Sozialstandards des Abkommens völlig wirkungslos. Der Amazonas brennt weiter und Umwelt und Mensch kommt nach Profit, weil Deutschland daran festhält, trotz aller Lippenbekenntnisse!

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