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Die Türkei treibt im Mittelmeer in den Strudel der absoluten Einsamkeit

İhsan Çaralan

Die politische Agenda der letzten Monate wurde von der Frage nach den Hintergründen der Entwicklungen im Mittelmeer bestimmt. Ob regierungstreu oder nicht – alle Medien versuchen diese Frage zu beantworten. Das Nationalbündnis von Erdoğan und Bahçeli und auch die Opposition erklären sich zu diesem Thema und kritisieren sich gegenseitig, obwohl sie die gleiche Haltung vertreten. Allerdings konnte die Frage, was im Mittelmeer los ist, bis jetzt nicht überzeugend beantwortet werden.

Weil ihm wohl nichts Neues mehr einfiel, kramte Erdoğan eine Videoaufnahme aus seiner Zeit als Istanbuler OB heraus, um Macron zu antworten. Da sagt er: „Ihr habt den Tisch gedeckt, um uns aufzuessen. Nur werden wir das nicht zulassen.“ Vielleicht möchte er damit sagen, er habe schon vor einem viertel Jahrhundert gewusst, was der Westen vorhatte. Allerdings kann man es auch anders deuten: Wenn es dem so war, hat er es seit einem viertel Jahrhundert wohl nicht geschafft, diese Pläne ins Leere laufen zu lassen und den Stand der Türkei zu verfestigen.

MACRON AGIERT ALS DER KNÜPPLER DER EU

Die Ereignisse der letzten Monate im Mittelmeer machen das sehr deutlich. Diese wurden in den letzten Wochen beschleunigt. Die Bemühungen der Bundeskanzlerin Merkel und des NATO-Generalsekretärs Stoltenberg blieben erfolglos.

Während die Türkei erklärte, ohne Vorbedingungen zum Verhandlungstisch zurückzukehren, erklärte Griechenland, die Türkei solle zunächst „ihre Schiffe in der Region, die unter Verletzung des internationalen Rechts dorthin geschickt wurden, zurückziehen.“ Sonst werde es keinen Dialog geben. Daraufhin erklärten die EU-Staaten auf ihrem Gipfel ihre Unterstützung für Griechenland und Zypern und kündigten Sanktionen gegen die Türkei für den Fall an, dass sie nicht nachgibt. EU-Kommissar Michel machte deutlich, dass man gegenüber der Türkei die Politik von Zuckerbrot und Peitsche verfolgen werde. Es wurde erkennbar, dass Merkel und Deutschland für das Zuckerbrot stehen und Macron und Frankreich für die Peitsche. Macron handelt hier also nicht eigenständig, sondern als ein Vertreter, der von der EU mit dieser Rolle beauftragt wurde.

ENTWICKLUNGEN SIND DEN WÜNSCHEN DER TÜRKEI ENTGEGENGESETZT

In der Zwischenzeit wurden folgende Entwicklungen verzeichnet:
–    Zwischen Griechenland und Ägypten wurde ein Abkommen über die Wirtschaftszonen im Mittelmeer unterzeichnet.
–    Frankreich, Griechenland, Italien und Zypern führten ein gemeinsames Manöver durch.
–    Frankreich verkaufte an Griechenland Kampfjets und beschloss, ins östliche Mittelmeer eine Flotte in Begleitung eines Flugzeugträgers zu versenden.
–    Die USA hoben das Waffenembargo gegen Zypern auf, das sie 1987 verhängt hatten. Der US-Außenminister besuchte Zypern ohne einen Abstecher in den türkischen Norden!
–    Bei einem Gipfel auf Malta, an dem Malta, Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland, Zypern und Spanien teilnahmen, beschlossen die Teilnehmer ihre Unterstützung für Griechenland und Zypern und für EU-Sanktionen gegen die Türkei, wenn sie ihre einseitigen Handlungen fortsetze.
–    Sarraj, der in Libyen als Verbündeter galt, wandte sich in den letzten Monaten immer stärker Paris zu. Darüber hinaus enthob er den Innenminister Fathi Bashaga vom Amt, während er in Ankara Gespräche mit dem türkischen Verteidigungsminister führte, weil ihm Vorbereitung eines Staatsstreichs vorgeworfen wurde.
–    Russland verlegt einerseits Milizen aus Syrien nach Libyen, um seine Präsenz dort zu verstärken. Andererseits stationiert es dort neue S-300 Flugabwehr-Raketen, um seine Pro-Haftar-Haltung in Libyen zu unterstreichen. Der Stützpunkt al-Watiya, wo die Türkei einen Militärstützpunk aufbauen wollte, wurde von „unbekannten“ Kampfjets bombardiert.

–    Griechenland und Zypern zogen nicht nur Macron, den die Türkei als „unwichtigen und untalentierten Politiker“ darstellt, sondern auch die Staaten in der Region wie den Irak, Syrien, den Libanon, Israel, Ägypten und Golfstaaten sowie die EU, USA und Russland auf ihre Seite.

DIE EXPANSION UND DIE DSCHICHADISTISCHE PROPAGANDA DIENEN REAKTIONÄRSTEN KRÄFTEN

Währenddessen intervenierte die Türkei vom östlichen Mittelmeer, über die Ägäis bis Armenien und Aserbaidschan in sämtliche Spannungen. Sie ging so weit, dass sie in Aserbaidschan ein gemeinsames Manöver abhielt und schaffte damit ein neues Problem in ihren Beziehungen zu Russland. In ihren Beziehungen zu Staaten der Region wie Israel, Ägypten und Syrien ging sie nicht deeskalierend vor, sondern verstärkte diese. Auch in Libyen verkehrt sich das Bündnis mit Sarraj gerade in ihr Gegenteil. Bosnien und Serbien als einige der wenigen europäischen Länder, zu denen sie gute Beziehungen hat, beschlossen unter dem Druck der USA die Verlegung ihrer Botschaften von Tel Aviv nach Jerusalem und gingen damit auf Distanz zur Türkei.

Das Bild, das der Gesamtprozess zeichnet, zeigt, dass die Türkei seit Monaten keine neuen Verbündeten gewinnen konnte und ganz im Gegenteil sich bestehende Bündnisse verschlechtert haben. Mit einer Mehrzahl von NAVTEX, die sie aus innenpolitischen Erwägungen herausgab und die permanenten Manöver sollen zur Aufrechterhaltung eines Quasi-Kriegszustands dienen.

Die diese Machtdemonstration begleitende islamistisch-dschihadistische Sprache der Machthaber, die gerne als Nachfolger der Osmanischen Eroberer auftreten, spielt lediglich den „islamophoben“,„türkenfeindlichen“ Kräften in Europa und den USA sowie den neonazistischen, neofaschistischen und populistischen Politikern in die Karten, die den Traum eines neuen Kreuzzugs träumen.

Deshalb führt die neoosmanische und expansionistische Politik der Türkei im östlichen Mittelmeer zu ihrer „absoluten Vereinsamung“. Diese Politik, die auch von der bürgerlichen Opposition unterstützt wird, dient auch als Instrument, mit dem bei den Völkern der Türkei aber auch Europas für Verwirrung gesorgt wird. Die militärische Machtdemonstration, die Unruhe in den Anrainerstaaten im östlichen Mittelmeer verbreitet, wird in einer weiteren Sicht missbraucht. Damit versuchen nämlich die imperialistischen Mächte, die Staaten in der Region davon zu überzeugen, dass ihre Präsenz als Gegengewicht zur Türkei für Frieden und Stabilität notwendig wäre.

Die Sprecher des „Alleinherrschers“ beteuern in letzter Zeit immer wieder, die Türkei würde das, was anderen zusteht, nicht für sich beanspruchen. Sie würde aber auch nicht zulassen, dass andere der Türkei das Zustehende wegnähmen. Diese Aussage hat zur Folge, dass die Einsamkeit der Türkei in eine „absolute Vereinsamung“ mündet.

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