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Kindermorde ohne Schuldsprüche

Vergangene Woche fuhr in Silopi in der Provinz Şırnak ein gepanzerter Poizeiwagen in ein Haus hinein und tötete die 6- bzw. 7-jährigen Brüder Furkan und Muhammet Yıldırım. Warum es zu dem Unfall kam, konnte bislang nicht ermittelt werden. Nach Angaben der Anwohner war der Polizist, der am Steuer des Panzerwagens saß, betrunken. Der ermittelnde Generalstaatsanwalt in Silopi widersprach diesen Schilderungen. Die Mutter der getöteten Kinder warf ihm jedoch vor, den Tatort nicht besucht zu haben. Auch der Onkel der Kinder, der im oberen Geschoss desselben Hauses wohnt, warf den Einsatzkräften vor, die Beweismittel am Tatort nicht sichergestellt zu haben. Nach Ansicht des Gouverneurs von Şırnak, der der Familie einen Kondolenzbesuch abstattete, handelt es sich bei dem Vorfall um einen „bedauernswerten Schicksalsschlag“. Zu Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter kam es zunächst nicht. Erst aufgrund öffentlicher Proteste erwirkte der Staatsanwalt sechs Tage nach dem Unfall einen Haftbefehl gegen den Fahrer des Panzerwagens.

HDP: „WIRD GEGEN DIE POLIZISTEN ERMITTELT?“

In einer Erklärung wies die Demokratische Partei der Völker (HDP) daraufhin, dass bisher keine offizielle Stellungnahme zu dem Vorfall abgegeben wurde. Die Ermittlungsbehörden würden versuchen, den Vorfall zu vertuschen. Sie erinnerte auch daran, dass Täter in früheren Fällen nicht ermittelt wurden bzw. ohne Strafe davon kamen.

Dass es sich bei dem Vorfall nicht um einen „Schicksalsschlag“ handelt, zeigt die Bilanz der Polizeieinsätze in den letzten Jahren in der Stadt deutlich. In den letzten 10 Jahren wurden allein in Şırnak und Silopi 76 Kinder bei Polizeieinsätzen getötet. In keinem dieser Fälle wurden die Täter strafrechtlich verfolgt. Die meisten Todesfälle waren auf den Einsatz von Schusswaffen oder Tränengas durch die Sicherheitskräfte zurückzuführen.

Am 28. Dezember 2011 warfen türkische Kampfjets in Silopi Bomben auf Zivilisten ab. 19 der insgesamt 34 Todesopfer waren Minderjährige. In anderen Fällen starben zahlreiche Säuglinge, weil sie wegen der herrschenden Ausgangssperre keine medizinische Hilfe bekamen.

Im September 2015 starb die 10-jährige Cemile Çağırga im Kugelhagel der Polizisten. Den Leichnam musste ihre Mutter wegen des verhängten Ausnahmezustands tagelang in einer Tiefkühltruhe aufbewahren. In der Stadt Cizre, wo vom 14. Dezember 2015 bis zum 2. März 2016 Ausgangssperre herrschte, verloren 29 Kinder bei Polizeieinsätzen ihr Leben. In keinem dieser Fälle kam es gegen die Verantwortlichen zu einem Schuldspruch. In den allermeisten Fällen wurden nicht einmal Ermittlungsverfahren eingeleitet.

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