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„Kunstschaffende können Widerstand unterstützen“

Sedat Kaya

Corona hat das kulturelle Leben eingefroren – von Kinos bis zu Theatern, von Museen bis zu Konzerten. Ein Großteil des kulturellen Lebens ist in die digitale Welt umgezogen. Wir haben mit dem Kunstschaffenden Rolf Becker über diese Zeit und die Bedeutung von Kunst gesprochen.

Warum sind Sie Künstler geworden?

Obwohl ich meinen Beruf liebe: ich habe lange gebraucht, um mich von der Illusion zu verabschieden mit Hilfe der Kunst die Welt verändern zu können. Ich bin zwar schon 1958 bei meinem ersten Engagement als Schauspieler am Landestheater Darmstadt der Gewerkschaft beigetreten, aber erst meine fristlose Entlassung 1969 in Bremen ließ mich begreifen, was Brecht seinem oben zitierten Satz als Konsequenz folgen lässt: „Die Kultur ist gerettet, wenn die Menschen gerettet sind“. Mit meiner Entlassung endeten meine Regietätigkeit und meine Mitarbeit in der Leitung des Bremer Theaters. Ich war jetzt ein lohn- beziehungsweise gehaltsabhängiger Schauspieler wie andere auch. Wichtiger und mir Orientierung verschaffend war, dass meine Entlassung infolge meines Engagements in der Schüler- und Studentenbewegung der 68er erfolgte und mich, den bis dahin eher passiven Gewerkschafter zum aktiven Mitglied der – wenn auch bislang noch schwachen – Arbeiterbewegung machte.

Wie bewerten sie die Situation der Kulturschaffenden in Zeiten von Corona?

Unser kulturelles Leben geht, wenn auch reduziert, weiter, trotz Corana und Wirtschaftskrise, und keineswegs nur in der „digitalen Welt“: Auftritte in kleinem Rahmen oder auf der Straße, Produktionen fürs Internet, gemeinsame Proben, Vorbereitungen per Telefon, E-Mail oder Brief für Veranstaltungen nach der Krise belegen das. Schmerzlich und existenzgefährdend sind die Einnahmeausfälle, vor allem für freiberufliche Kolleginnen und Kollegen. Die Entschädigungszahlungen seitens der Behörden gleichen die Verluste nicht aus.

Mit der Corona-Pandemie hat sich auch gezeigt wie das gesellschaftliche Leben von Unsicherheit geprägt und auf Profit orientiert ist. Wie sehen sie als Künstler die Zukunft der kapitalistischen Gesellschaft und der Welt?

Unsere Welt befindet sich im Umbruch – ökonomisch, ökologisch, politisch – zu wessen Gunsten ist eine Frage der Kräfteverhältnisse: setzt sich das Kapital durch mit seinem Interesse die bestehenden Besitzverhältnisse zu erhalten oder die Umverteilung noch weiter zu seinen Gunsten zu steigern, oder sammeln sich die bislang schon Entrechteten zum Widerstand? Wir sollten uns vor Vereinfachungen hüten – die Umbrüche werden erheblich sein und das Wohlergehen vieler, die in den hochindustrialisierten Ländern vorerst noch leidlich gut existieren können, in Frage stellen. Die Folgen der durch Corona gesteigerten Weltwirtschaftskrise werden überwiegend der arbeitenden Bevölkerung aufgebürdet werden – solange wir das hinnehmen.

Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie zeichneten sich die jetzt in gesteigerter Form wahrnehmbaren Probleme ab. Es wurden Forderungen gestellt, die im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse kaum lösbar sind. Beispiele: die Flüchtlingsströme aus den kolonialistisch ausgeplünderten Ländern Afrikas und Lateinamerikas; die Reduzierung landwirtschaftlicher Flächen, um Biogas statt Nahrungsmittel zu produzieren; die Steigerung des Straßenverkehrs unter dem Vorwand durch Elektrifizierung den CO2-Ausstoß zu verringern; Kohle- und Erdölförderung und Fracking statt Umstellung der Energieversorgung auf Solarstrom und Windkraft. Nicht nur Unternehmer und ihre Vertretungen in Parlamenten, Ausschüssen und Regierungen, auch wir müssen Antworten finden auf die Frage, wie diese Umbrüche zu bewältigen sind, ohne dass die Kosten der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung aufgebürdet werden. Ich halte es für eine Illusion, zu glauben, die Lösung dieser und zahlreicher anderer Probleme sei möglich ohne das kapitalistische System in Frage zu stellen.

Wenn wir uns die vergangene Zeit bis heute ansehen: was erwartet die Werktätigen in Bezug auf ihr kulturelles Leben in naher Zukunft? Und welche Verantwortung tragen fortschrittliche Künstler in diesen Zeiten?

„Erbarmen wir uns der Kultur, aber erbarmen wir uns zuerst der Menschen“ ist ein Zitat von Bertolt Brecht (1935). Das gilt vor allem für das kulturelle Leben der Arbeitenden und ihrer Familien, der Arbeits- und Obdachlosen und zu uns geflüchteten Mitmenschen. Auch fortschrittliche Kunstschaffende können die Richtung gesellschaftlicher Bewegungen nicht vorgeben, sondern allenfalls Ansätze von Widerstand unterstützen. Wir sollten der Mehrzahl Kunstschaffender ihre Zurückhaltung und scheinbare Anpassungsbereitschaft nicht vorhalten: sie sind der Tatsache geschuldet, dass sie um ihre Jobs und damit um die Versorgung ihrer Familien bangen müssen, wenn sie sich den vorherrschenden Denkweisen widersetzen. Franz Josef Degenhardt zum Beispiel wurde, wie Konstantin Wecker in seinem Nachruf auf ihn am 15. November 2011 schrieb, „mit einer organisierten Niedertracht bekämpft, die in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel ist. Degenhardts Lieder in den öffentlichen Rundfunkanstalten zu spielen, war ab Ende der 70er Jahre verboten. An Degenhardt wurde ein Exempel statuiert, aus dem der Nachwuchs lernen sollte, dass politisches Engagement die Karriere keineswegs fördert – und diese Lektion wird bis auf den heutigen Tag schrecklich gut verstanden.“

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