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Marburg: Mahnmal am Jahrestag von Hanau für alle Opfer rassistischer Gewalt enthüllt!

Eren Gültekin

Zum ersten Jahrestag des rechten Attentats in Hanau wurden im Voraus für den 19. Februar Aktionen in der Universitätsstadt geplant und durchgeführt, um der 9 Menschen zu gedenken, die aufgrund rassistischer Motive ermordet wurden. Eines muss hierbei genau verdeutlicht werden: es kann absolut nicht von einem Einzeltäter gesprochen werden, da die Bedingungen, die den rassistischen Anschlag in Hanau erst ermöglichten, bereits da waren. Es ist die seit Jahren bestehende Stimmung, die mitunter für den Tod dieser neun Menschen verantwortlich ist, allen voran die von der herrschenden Politik betriebenen neoliberalen Entscheidungen, die die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr vergrößern. Das führt dazu, dass sich die Lebensbedingungen vieler Menschen verschlechtern, welches seitens der AfD insofern herzlich begrüßt wird, als dass sie sie für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren, nämlich, die Spaltung in diesem Land voranzutreiben.

Nicht nur PolitikerInnen, die von vielen Wissenschaftlern in den Ministerien beraten und in ihren Aussagen hinsichtlich ihrer stigmatisierenden Thesen unterstützt werden, versuchen regelmäßig die Stimmung in diesem Lande zu vergiften. Es sind vor allem die Medien, die diesen Umstand konsequent durchziehen. So wurde zum Beispiel in der Tatnacht von „Bandenkriminalität“ gesprochen. Außerdem wurde krampfhaft versucht, alle möglichen Gründe zu finden, weshalb der Täter diese schreckliche Tat begangen haben könnte und in diesem Zusammenhang ein Banküberfall genannt, von dem der Täter betroffen war und als Rechtfertigung für die Ermordung herangezogen. Von einem rechten Tatmotiv wurde dabei nicht gesprochen. Dass daraus auch danach immer noch nicht gelernt wurde, zeigt auch die Berichterstattung nach den Aktionen in Marburg zum 1. Jahrestag des Attentats von der Lokalpresse „Oberhessische Presse Marburg“, welche nur beschämend ist. So beschrieb der Autor wie folgt: „…, aus Anlass an die neun Todesopfer des rassistisch motivierten Anschlags eines Einzeltäters vor einem Jahr in Hanau. Zahlreiche linke Gruppierungen und Ausländerinitiativen hatten dazu eingeladen, gegen Rassismus zu protestieren.“ Es wird hier nach wie vor von einem Einzeltäter gesprochen und Initiativen als ,,ausländisch“ bezeichnet.

Insgesamt beteiligten sich 24 Organisationen, Gruppen und Initiativen, um diesen Tag zu gestalten. Seit mehr als einer Woche ist die ganze Stadt mit laminierten Bildern der Opfer geschmückt. Nicht nur in der Innenstadt hat das breite Bündnis diese Aktionen umgesetzt, sondern auch in jedem Stadtteil. Ziel dieser und weiterer Aktionen war es sowohl zu gedenken als auch aktive Schritte einzuleiten. Dabei wurde versucht, die Forderungen der Online-Petition der Plattform „Solidarität Simdi“ umzusetzen. Diese beinhalten Forderungen gegen Rassismus, die in Marburg auch von der breiten Masse an Verbänden und Organisationen getragen werden.

Der Tag in Marburg begann um 13 Uhr mit einer Kundgebung am Friedrichsplatz im Stadtteil Südviertel. Einer der Straßen, die zu diesem Platz führen, ist die Bismarckstraße. Eben jene Straße, die auch seit Monaten von der Plattform „Solidarität Şimdi“ zur Umbenennung skandiert wird. Die Bismarckstraße wurde hier wie in vielen anderen Städten der Bundesrepublik auch, nach einem der Opfer von Hanau umbenannt. So wurde in Marburg die Straße in Mercedes-Kierpacz-Straße benannt. Neben dieser wurde auch eine weitere Forderung von der Petition vorgenommen, nämlich jene nach der Errichtung eines Mahnmals für alle Opfer rassistischer Gewalt. Daher lag der Fokus der Plattform und des Bündnisses, welche gemeinsam diese Gedenkveranstaltung organisierte, auf der Realisierung eines solchen Gedenkwerkes. Hierfür wurde der in Marburg lebende Künstler Alexier Diaz Bravo angefragt, der diesem Wunsch nachkam. Zu Beginn der Kundgebung hat die Moderatorin Cansu Budak, Mitglied der DIDF Jugend Marburg und aktiv in der Plattform „Solidarität Şimdi“, die Gründe und die Wichtigkeit der Forderungen der Plattform erläutert und die Stadt darauf hingewiesen, diese umzusetzen, „..gerade jetzt, in Zeiten, in denen der strukturelle und institutionelle Rassismus immer stärker wird und Täter zu Opfern und die Opfer zu Tätern werden und das seit Jahrzehnten, muss eine Stadt wie Marburg sich offen von Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art, von rechter Gewalt abgrenzen und sich ganz klar und deutlich zur Vielfalt, Toleranz und Frieden bekennen und damit eine klare Position ergreifen. Denn es muss in Marburg ein Ort geschaffen werden, um an diese Menschen zu erinnern und Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen zu fordern“. Genauso betonte sie im Anschluss, „..wir sind uns bewusst, dass sich der Rassismus mit einem Mahnmal und der Umbenennung einer Straße nicht auflösen wird und wir einen täglichen, langfristigen Kampf benötigen. Aber wir wollen Zeichen setzen – aus Respekt an die Ermordeten, an die Überlebenden und Angehörigen, aber auch um endlich Transparenz zu schaffen, Aufsehen zu erwecken.“. Anschließend wurde das Mahnmal unter dem Titel „Memorial – Den Opfern rassistischer Gewalt“ von den Teilnehmenden applaudierend enthüllt. Der Künstler bedankte sich für die Anfrage und betonte die Notwendigkeit dieser Gedenkform. Ebenso berichtete er von eigenen Rassismus-Erfahrungen, die er in vielen verschiedenen Ländern Europas erlebte. Nach diesem Beitrag wurden Audiodateien mit den Stimmen von Angehörigen und Überlebenden des rassistischen Anschlags abgespielt. Die rund 300 Teilnehmenden legten Rosen vor dem Mahnmal und begaben sich gemeinsam mit einem Demonstrationszug zum Hauptkundgebungsort in die Innenstadt, zur Stadthalle Erwin-Piscator-Haus. Die Demo wurde mit Slogans wie „Hanau war kein Einzelfall“ und regelmäßig mit dem Aufrufen der Namen der Verstobenen Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov begleitet.

Angekommen am Platz vor der Stadthalle, begann die Hauptkundgebung um 15 Uhr mit einer Schweigeminute. Immer wieder riefen die mittlerweile rund 1000 Teilnehmenden die Namen der Opfer und hörten den vielen RednerInnen zu. Unter den Teilnehmenden war der Oberbürgermeister Thomas Spies, Marburger Magistrat, viele Stadtverordnete sowie einige der KandidatInnen für die bevorstehende Oberbürgermeisterwahl. Gesprochen haben die Grüne Jugend, Jusos, SDS, SDAJ, Ausländerbeirat Marburg, JungeNGG, SoFiKuS, Seebrücke und DIDF-Jugend. Eines hatten die Reden gemein, wofür sie viel Beifall bekamen: dass es Zeit ist, sich zu organisieren und nur so Forderungen durchgesetzt werden können. Sehr oft wurde hierbei auch die Wichtigkeit der Gewerkschaften betont. Zudem fand auf dem Platz ein kleiner Flashmob statt. Bei diesem hielten neun Personen die jeweiligen Bilder der Verstorbenen hoch, kamen einzeln an das Mikrofon und erzählten kurze Geschichten der einzelnen Opfer. Ab 18 Uhr fand ein paar hundert Meter entfernt ein stilles Gedenken, welches der Ausländerbeirat organisierte.

Jetzt ist die Stadt Marburg an der Reihe und muss ihren Menschen beweisen, dass sie – wie sie es stets betonen – auch weltoffen und tolerant ist und diesen Forderungen, denen wir jetzt den ersten Vorstoß geleistet haben, entgegenkommen. Die Plattform „Solidarität Şimdi“ und die vielen Organisationen, Gruppen, Initiativen sowie Einzelmenschen werden jedoch nicht ruhen und in Zukunft konsequent weiter den Druck aufbauen, um all ihre Forderungen realisieren zu lassen. Um mehr Druck aufbauen zu können, sollten alle die Online Petition unterschreiben:

www.change.org/solidaritätsimdi

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