von T. O. Ciftci
Der aktuelle NATO-Gipfel hat am Montag in Brüssel begonnen. Zur Beratung trafen sich die Regierungs- und Staatschefs der Mitgliedsstaaten. Themenschwerpunkte waren die Reforminitiative NATO 2030, das Verhältnis zu Russland und China, Cyber- und Weltraumkriege und die Klimakrise.
G7-Treffen als Vorbereitung
Vorangegangen war am Wochenende vor dem NATO-Gipfel der G7-Gipfel im britischen St. Ives im südwestlichen Cornwall. Die G7-Staaten haben sich über eine gemeinsame Behandlung der Klimakrise und Pandemie sowie das Verhältnis zu China beraten. Die von der G7 verkündete Gesundheitserklärung am Samstag wurde von Entwicklungsorganisation stark kritisiert. Die 2.3 Milliarden Impfdosen, die die sieben Industrienationen bereitstellen wollen, sind bei weitem nicht ausreichend, um die Pandemie auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Empfohlen werden von Seiten Nichtregierungsorganisationen 8 Milliarden Impfdosen. Des Weiteren kritisieren Entwicklungsorganisationen wie Oxfam und World Vision, dass ohne die Freigabe oder zumindest Aussetzung der Impfstoffpatente nur eine leichte Schönheitskorrektur in der strukturellen Misslage der weltweiten Pandemiebekämpfung geleistet wird. Die dritte Corona-Welle erreicht nämlich die ärmeren Länder der Welt. In Indien ist die Lage seit Wochen anhaltend katastrophal. Südafrika hat eine Verdopplung der Neuinfektionen zu verzeichnen. Eine wirklich effektive Bekämpfung der Pandemie setzt die Möglichkeit voraus, dass die betroffenen Länder „frei von den Einschränkungen monopolsichernder Patentregeln” produzieren, meint Jörn Kalinski von Oxfam.
Klima- Ist der Wille überhaupt da?
Ferner überträgt sich die Halbherzigkeit der G7-Staaten, die Pandemie zu bekämpfen, auf die Bekämpfung der Klimakrise. Es gab keine Einigung auf ein Datum für einen gemeinsamen Kohleausstieg, obwohl die sieben Industrienationen für immer noch knapp ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes direkt verantwortlich sind. Symbolisch wurde zudem am Pariser Klimaabkommen endlich wieder einheitlich festgehalten, seit dem die USA unter Biden sich wieder zu den Zielen bekannt haben. Dass jedoch seit 2015 viel zu wenig Fakten geschaffen wurden, um die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten mit der Empfehlung des Weltklimarats auf unter 1.5 Grad zu kommen, wurde wiederum nicht offen diskutiert.
Neuer kalter Krieg?
Der Höhepunkt der Beratungen sollte jedoch das Verhältnis zu China und Russland betreffen. Der Investitionsmacht China soll durch eigene Investitionen der G7-Staaten in den globalen Süden Paroli geboten, die Einflusssphäre auf die Entwicklungs- und Schwellenländer wieder zu Gunsten des Westens umorientiert werden. Die G7-Staaten werfen dabei China eine geopolitische Motivation durch Investitionen vor. Auch die Menschenrechtslage in China war wieder Ziel von Kritik. Chinas Umgang mit den Uiguren und der Konflikt mit Hong Kong wurden scharf verurteilt. Von Russland wird wiederum erwartet, die Unabhängigkeit der Medien zu gewährleisten und die vermeintlichen Cyberattacken gegenüber dem Westen einzustellen.
NATO macht sich wieder bereit
Der G7-Gipfel muss im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel betrachtet werden. So wie die entsprechenden Nationen als G7-Staaten ihre politische Zielsetzung gestalten, ergänzen und befördern die Nationen als NATO-Staaten diese militärisch. Es ist der erste NATO-Gipfel mit US-Präsident Biden. Das Militär- und Kriegsbündnis erhofft sich ein geschlossenes Auftreten mit einem kooperationsfähigeren USA in der NATO. Biden hat unmissverständlich mitgeteilt, dass der Bündnisfall (Artikel 5 des NATO-Vertrags) immer noch volle Geltung für die USA habe. Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ging sogar noch einen Schritt weiter: Erfolge ein Angriff über das Weltall, so solle auch dort der Bündnisfall greifen. Des Weiteren soll auch die Solidarität innerhalb der NATO-Staaten auf die Probe gestellt werden. Ist ein Land wie Deutschland bereit für das Zwei-Prozent-Ziel? Der Kanzlerkandidat Armin Laschet hat alle Zweifel aus dem Weg geräumt und sich für eine ungezügelte Aufrüstung ausgesprochen.
Die Sprache des Angriffs?
Die von Stoltenberg ernannte Reflexionsgruppe, in der auch der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière einen Platz einnimmt, hatte bereits Ende letzten Jahres ein Papier NATO 2030: United for a New Era mit Empfehlungen herausgegeben, die eine potentielle Grundlage für eine neue NATO-Strategie werden können. Die Reforminitiative soll bis 2022 fertiggestellt werden und unter dem Namen NATO 2030 öffentlichkeitswirksam vermarktet werden. Ein genauerer Blick auf das 67 Seiten lange Papier führt zu interessanten, aber kaum überraschenden Beobachtungen. So taucht das Wort Russland 96-mal und das Wort China 82-mal in dem Papier auf. In Bezug auf China heißt es, dass seine Macht „offene und demokratische Gesellschaften vor akute Herausforderungen” stelle. So begann auch Stoltenberg am Montag die Eröffnung mit einem Appell, das Verhältnis zu China zu konkretisieren und die Erweiterung des NATO-Operationsgebiet im Hinblick auf den chinesischen Einfluss nicht zu verhandeln, also im Klartext voranzutreiben. So heißt es im Papier, dass die NATO den Herausforderungen, die durch China gestellt würden, “viel mehr Zeit, politische Ressourcen und Maßnahmen” entgegen bringen müsse. Die Ansage ist eindeutig trotz diplomatischer Sprache: China ist ein Machtfaktor geworden, erhält immer mehr Einfluss in der Welt und muss gegebenenfalls militärisch in die Schranken gewiesen werden.
Gegenüber Russland ist die Sprache wiederum nicht allzu diplomatisch und distanziert. Nach Stoltenberg sei das Verhältnis zu Russland “so schlecht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr”. Die Wörter Aggression oder aggressiv tauchen oft in der NATO-Charakterisierung Russlands auf. Im Hinblick auf das Jahr 2030, wird “Russland die hauptsächliche Bedrohung für das Bündnis bleiben”. Auf Grundlage dieser Analyse bleibt für die Reflexionsgruppe nur zu schreiben, dass die NATO weiterhin “politisch geeint, entschlossen und kohärent auf russische Drohungen und feindselige Aktionen reagieren” muss. Im Hinblick auf die russischen Truppenverschiebungen an der ukrainischen Grenze und die NATO-Manöver vor der russischer Grenze reflektieren die Empfehlungen der Reflexionsgruppe das Credo im Zweifelsfall bereit zu sein, einen Krieg in Europa vom Zaun zu brechen.
Zukunfts-NATO
Was die G7-Staaten nur schwammig als ihren Klimaschutz formulieren, führt die NATO nochmal konkreter aus. Die Konsequenzen der Klimakatastrophe sind Flüchtlingsbewegungen, die das heutige Ausmaß weit übersteigen werden. Zudem erhält der Kampf um Ressourcen und Handelswegen eine neue Dimension unter den Bedingungen eines steigenden Meeresspiegels und der Austrocknung weiter Teile der südlichen Regionen. Die NATO wappnet sich auf diese veränderten Umstände mit dem Klima-Aktionsplan. Grüne Technologien, wie Biotreibstoff und Solarzellen, sollen die Effektivität und Instandhaltung militärischer Kapazitäten auch in Zukunft garantieren.
Die NATO ist also wieder da. Mit den USA, mit der klaren und paranoiden Ansage an gegnerische Kräfte, mit einem ökologischen Gesicht in der Kriegsführung. Die Werte der westlichen Welt wurden bis heute mit alten und werden in Zukunft mit neuen Waffensystemen verteidigt.