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Privateigentum ist Diebstahl

Mesut Bayraktar

Nach dem Superwahlsonntag fantasierte Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grüne) von einer „neuen Zeitrechnung“, um sich dann mit seiner Partei in die Arme der marktradikalen FDP zu werfen. Zum Schaden von Natur und den Werktätigen fand der grüne Kapitalismus den parteipolitischen Block durch seine Agenten, die den Kanzler machen werden. Von der wirklichen Ankündigung einer neuen Zeitrechnung war und ist jedoch kaum in den Medien zu hören: In Berlin votierten über 59,1 Prozent per Volksentscheid für die Enteignung großer privater Wohnungsunternehmen.

Als das Volksbegehren der Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ 2019 in die Öffentlichkeit kam, erschien im Herbst desselben Jahres ein schmales Buch der Politikwissenschaftlerin und Journalistin Sabine Nuss mit dem Titel „Keine Enteignung ist auch keine Lösung“. 

Ihr Buch liest sich, gerade jetzt, als theoretische Vertiefung der Bewegung, zugleich aber auch als eine Einführung in die politische Auseinandersetzung. Dabei gelingt ihr, den komplexen Sachverhalt und die geschichtliche Tragweite des Themas auch für Interessierte in einfacher und zugänglicher Weise darzustellen. In der Tat erzeugt der souveräne und sachkundige Umgang von Nuss eine Lust zum Enteignen. Zudem zeigt sie, warum Enteignung gerade in den letzten Jahren zum politischen Kampfbegriff insbesondere im Bereich des Digitalen und in Fragen des Bodens wurde: durch die gestiegene Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit im 21. Jahrhundert. Die Eigentumsfrage ist wieder zurück.

Ihre Analyse überzeugt in weiten Strecken. Nuss macht deutlich, dass Enteignungen zum Alltagsgeschäft der kapitalistischen Produktionsweise gehören. Sie unterscheidet dabei zwischen „guter Enteignung“ und „böser Enteignung“. Gut sind Enteignungen, wenn zum Beispiel kleine Bauern und Privatleute enteignet werden, weil Flughäfen gebaut, Autobahnen angelegt oder Kohlevorkommen abgebaut werden sollen. Ob sie dem Gemeinwesen dienen, ist fraglich, aber da sie dem Klasseninteresse von Staat und Kapitalisten entsprechen, werden solche Enteignungen von Politik und Medien als „gut“ ausgegeben. 

Anders verhält es sich mit „bösen Enteignungen“, jene wie der Volksentscheid in Berlin um Wohnraum. Dann spricht man von staatlicher Willkür und verweist nicht selten zähnefletschend auf die DDR. „Böse“ sind sie, weil sie Ausdruck der Interessen breiter Massen sind, die unter dem Druck kapitalistischer Profitlogik leiden.

Dabei unterscheidet Nuss zwischen Eigentum und Besitz sowie zwischen Privateigentum und gesellschaftliches Eigentum und bestimmt ganz richtig, dass Eigentum „eine Beziehung zwischen mehreren Menschen bezogen auf eine Sache, körperlich oder unkörperlich,“ ist.

Gemeinsam mit Karl Marx erklärt sie in nachvollziehbarer Weise vorkapitalistische und kapitalistische Eigentumsformen, um anschließend die falschen Versprechen des Privateigentums zu zerpflücken. Privateigentum ist Diebstahl am gesellschaftlich produzierten Reichtum.

Auch wenn die Schlussfolgerungen – die „große Wiederaneignung“ und „kleine Wiederaneignung“, die sich als Strategie und Taktik lesen lassen – hier und da hinken, ist ihre Analyse doch klassenbewusst. Apropos „neue Zeitrechnung“: Durch den Berliner Volksentscheid motiviert, hat sich nun „RWE & Co. enteignen“ formiert, um dem Energiekapital auf die Pelle zu rücken. Es tut sich was in diesem Land.

Sabine Nuss: Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Karl Dietz Verlag Berlin, 134 S., softcover, 12,- €.

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