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Russland-Ukraine-Konflikt verschärft sich

Taylan Ciftci

Die Lage an der russischen Grenze zur Ukraine ist mit dem Adjektiv „angespannt“ wohlwollend umschrieben. Seit Wochen nehmen die gegenseitigen Beschuldigungen, Drohungen und Maßnahmen von westlicher und russischer Seite immer konkretere Formen an. Die bürgerlichen Blätter zeichnen bereits einen möglichen Kriegsverlauf im Falle einer militärischen Konfrontation zwischen den ukrainischen und russischen Streitkräften, wie zuletzt die F.A.Z. mit „Wie stark sind die ukrainischen Streitkräfte?“ titelte. Alle Zeichen stehen auf Kriegskurs. Trotz Genf, trotz Brüssel, trotz Wien. Dabei ist die aktuelle Krise vorhersehbar gewesen. Sie ist Ausdruck und Folge der Verteilungskämpfe zwischen dem Westen und Russland.

Das in der letzten Woche ausgetragene Treffen des NATO-Russland-Rates in Brüssel war das erste seit zweieinhalb Jahren. Das Zusammenkommen kann auch als erster möglicher Lösungsschritt zur Entschärfung der Krise an der russisch-ukrainischen Grenze interpretiert werden. Die Patt-Situation zwischen beiden Seiten konnte jedoch nicht beigelegt werden, was auch kaum verwundert. Moskau fordert Sicherheitsgarantien, wie den vollständigen Ausschluss des NATO-Beitritts der Ukraine. Die NATO wie auch Washington und Berlin pochen auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen: jedes Land solle seine Partner selbst aussuchen dürfen und sich von keinem anderen Land etwas anderes vorschreiben lassen.

NATO kreist Russland ein

Das Selbstbestimmungsrecht der Bündniswahl mag als allgemeine Forderung moralisch überlegen anmuten. Die NATO und die EU haben jedoch bereits in der Vergangenheit Fakten geschaffen, die im konkreten Fall ohne Umschweife aus der Ukraine ein offizielles NATO-Mitglied machen werden würden, wenn ein solches Recht auch für Russland Realität wird. Die im Jahr 1997 beschlossene NATO-Ukraine-Charta legte den Grundstein für den militärischen Austausch zwischen dem Westen und der früheren Sowjetrepublik bis hin zu der Beteiligung an NATO-Missionen, an denen die Ukraine als einziges Nicht-NATO-Mitglied teilnimmt. Beitrittsverhandlungen fanden auch in den darauffolgenden Jahren statt. Währenddessen traten 14 Länder aus Mittel-, Süd- und Osteuropa der NATO bei. Die Ukraine wäre im Fall eines Beitritts sozusagen der Abschluss der Einkreisung Russlands von der Westfront.

Dabei ist die Ukraine ein zentraler Punkt in der Russlandpolitik der NATO. Der vom Westen 2014 herbeigeführte Regierungswechsel in Kiew ist im Zeichen einer Entkoppelung der Ukraine von Russland zu betrachten. Die USA besetzten damit die Brücke nach Russland. Das kurz vorher ausgehandelte EU-Assoziierungsabkommen stellt auf der anderen Seite insbesondere für die westeuropäischen Staaten die Möglichkeit dar, ihren Einfluss in der Ukraine geltend zu machen und die russische Bindung zur Ukraine zu schwächen. Die Besetzung und Annexion der Krim sowie die Stationierung russischer Truppen an der ukrainischen Grenze stellen eine Reaktion der systematisch beförderten Integration der Ukraine in ein von den USA dominiertes Machtsystem dar.

Die Sicherheitsgarantien die Moskau Washington und Berlin abtrotzen möchte, sind vor dem Hintergrund der letzten 25 Jahre nicht verwunderlich. Im Gegenteil: Damit spekulative Artikel über einen russisch-ukrainischen Kriegsverlauf nicht Realität werden, dafür aber eine nette abwechslungsreiche Science-Fiction-Lektüre bleiben, müssen die westlichen Staaten überlegen, wie sehr sie bereit sind, Kompromisse mit Moskau zu finden. Russland hat nur noch wenig zu verlieren.

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