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Streik ist ein „gesellschaftliches Ereignis“

Onur Kodas

Der Begriff Streik bzw. Streikrecht ist unstreitig eines der Begriffe, welcher in diesem Jahr sehr oft gefallen ist bzw. auch medial im Mittelpunkt stand; sei es nun der Streik der Lokführer bei der GDL, der Streik bei der Post oder der Streik im sozialen Erziehungsdienst. Das Zentrum des Ganzen bildeten dabei die jeweiligen Organisatoren; die Gewerkschaften. Je nach Erfolg oder Misserfolg wurden insbesondere die Vorsitzenden zur Rechenschaft gezogen. Bei diesen Diskussionen fielen die eigentlichen Initiatoren, nämlich die Belegschaften, völlig in den Hintergrund oder besser gesagt, sie wurden komplett ignoriert, vor allem, wenn sie dazu auch noch kämpferisch waren. Über 100 von diesen kämpferischen GewerschafterInnen haben sich nun in Kassel zu einer Konferenz getroffen, um die bisherige Streikkultur in Deutschland zu bewerten und die Frage zu diskutieren, wie es weitergehen soll.

Streik muss ein „gesellschaftliches Ereignis“ werden

Als Gast hielt Elmar Wiegand von arbeitsunrecht e.V. einen Vortrag. Arbeitsunrecht beschäftigt sich mit Arbeitskämpfen, wie „Union Busting“ und „Betriebsrat-Bashing“. Zur Erklärung der Begriffe verdeutlichte Wiegand, dass diese Begriffe aus den USA und Großbritannien stammen. Dort habe sich ein ganzer neuer Dienstleistungssektor von Anwälten gebildet, die ausschließlich darauf spezialisiert wären, wie Arbeitgeber zielgerichtet Betriebsräte bekämpfen können bzw. es verhindern können, dass es überhaupt zur Entstehung eines Betriebsrates kommt. Dieser Dienstleistungssektor sei nunmehr seit geraumer Zeit auch nach Deutschland herübergeschwappt. Insbesondere gäbe es große Anwaltskanzleien, wie Allen & Overy aus den USA, die die Geschäftsführung von Konzernen, wie Amazon & Co. in diesen Angelegenheiten beraten würden. Ein weiteres erschreckendes Ergebnis, welches Wiegand vorstellte, sei die Tatsache, dass nur ca. 40% aller Beschäftigten in Deutschland von Betriebsräten repräsentiert werde. Diese Prozentzahl gälte auch in die Tarifverträge. Man habe zwar unzählige Tarifverträge, aber diese würden nur auf 40% der Anwendung finden. Die Tendenz sei weiterhin schleichend sinkend. Zum Schluss seiner Rede machte der Journalist ebenfalls darauf aufmerksam, dass Deutschland in diesem Jahr zwar etwas mehr an Streikkultur gewonnen habe, aber unter den Beschäftigten in den einzelnen Branchen die Solidarität fehle. Wenn irgendwo gestreikt werde, müssten die Belegschaften in den anderen Branchen ihre Solidarität bekunden und mitmachen. Der Streik müsse zu einen gesellschaftlichen Ereignis werden. Denn nur durch diesen könne weitreichende und nachhaltige Ergebnisse erzielt werden. Streiks müssten daher zu gesellschaftlichen Ereignissen werden, so Wiegand.

In der Türkei geht es hoch her

Als Gast aus dem Ausland war Aydin Meze (Name aus Sicherheitsgründen geändert) eingeladen. Dieser berichtete über die gewerkschaftsunabhängigen Streiks in der Metallbranche der Türkei im vergangenen Mai. Meze berichtete, dass es drei große Gewerkschaften in der Metallindustrie gebe. Zum einen sei es die Türk- Metall mit ca. 110.00 Mitgliedern. Sie gehöre zum Dachverband der Türk IS. Diese Gewerkschaft sei nationalistisch und faschistisch einzugruppieren, sagte Meze. Daneben gebe es die Birlesik Metall Is. Sie sei unter dem Dachverband der DISK organisiert. Diese Gewerkschaft behaupte von sich, „links“ zu sein. Sie habe 25.000 Mitglieder. Und Schließlich gebe es die Celik IS. Diese sei beim Dachverband der Hak IS organisiert. Diese Gewerkschaft sei progressiv religiös einzustufen, so Meze. Insgesamt würden ca. 2,5 – 3 Millionen Menschen im Metallsektor arbeiten. Und nur 150.000 davon seien gewerkschaftlich organisiert. Dies zeige, wie schwach die Gewerkschaftsstrukturen in der Türkei seien, verdeutlichte Meze. Ferner unterstrich Meze den Umstand, dass man sich von der politischen Einstellung von den einzelnen Gewerkschaften nicht blenden solle, denn in Ihrer Haltung gegenüber zu den Arbeitgeberverbänden seien alle gleich passiv. Dies sei auch der Grund für den Streik der Bosch-Mitarbeiter in Bursa gewesen. Dort gäbe es einen Haustarifvertrag, der alle zwei Jahre neu verhandelt werden würde. Nur dieses Mal sei es so gewesen, dass es keinen wirklichen Lohnzusatz gegeben hätte. Die Aushandlung der Löhne sei viel niedriger gewesen, als die aktuelle Inflation in der Türkei. Als Protest gegen die eigenen Gewerkschaften hätte die Belegschaft die Entscheidung getroffen, nunmehr in den Streik zu gehen. Bei dieser Aktion machte Meze klar, dass es sich hier nicht nur um das enttäuschende Ergebnis der Tarifverhandlungen handelte, sondern die Arbeiterinnen und Arbeiter ihrer seit Jahren aufgestauten Wut und Enttäuschung gegenüber ihren Gewerkschaften Luft gemacht hätten. In der Türkei herrsche eine Art „Gangstergewerkschaft“. Oftmals habe die Polizei bei Ermittlungen feststellen können, wie kriminell die Gewerkschaftsfunktionäre seien und welch luxuriösen Lebensstil sie verfolgen würden. Ferner würden sich die Gewerkschaften nicht als Repräsentanten der Arbeiter sehen, sondern vielmehr als Schlichter zwischen den Beschäftigten und den Arbeitgebern. „Ja die Gewerkschaften sind eine Barriere“, fuhr er fort, „aber sie sind auch gleichzeitig eine Waffe. Es kommt nun darauf an, wer diese Waffe betätigt“. Deshalb sei die Politisierung der Arbeiter und der Gewerkschaften unabdingbar. Wolle man nachhaltige und weitreichende Ergebnisse für die Beschäftigten erreichen, müsse man die Belegschaften politisieren. In den weiteren Redebeiträgen wurden diese Positionen bestätigt. Insbesondere müsse man die Solidarität unter den Beschäftigten voranbringen. Ebenfalls sei es nötig, sich neben der gewerkschaftlichen Organisation auch untereinander zu organisieren und zu vernetzen. Das kollektive Handeln müsse stärker werden. Und zum Schluss wurde eine Absichtserklärung zu den Eingriffen in das Streikrecht und Union-Busting verabschiedet.

Nicht nur für uns“

Auch beteiligte sich der stellvertretende Vorsitzende der GDL, Norbert Quitter an der Veranstaltung und berichtete über die Erfahrung der GDL während der Streiks. Insbesondere ging Quitter auf die Medienhetze ein. Der Kampf gegen die hetzenden Medien sei teilweise viel schwieriger gewesen, als der Streik selbst. Aber man habe nicht nur für sich selbst gestreikt, sondern auch für die anderen Belegschaften der übrigen Branchen, um ein Zeichen gegen die immer prekärer werdenden Arbeitsverhältnisse zu setzen. In Bezug auf die hohen Löhne der Gewerkschaftsfunktionäre verdeutlichte Quitter, dass es bei der GDL einen Ausschuss von Ehrenamtlichen gebe, welcher die Funktionäre wähle und die Höhe der Löhne bestimme.

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