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Türkei: Ein Folterer erzählt

Vedat İlbeyoğlu

In aller Ruhe erzählt… Als würde es um das Natürlichste von der Welt gehen… Als wäre dabei das Leben seinem natürlichen Lauf gefolgt… „Wo hat es denn keine Folter gegeben. Natürlich gab es die auch bei uns…“ Ja, der ehemalige Leiter der Abteilung Konterguerilla beim Türkischen Geheimdienst MIT, Mehmet Eymür, spricht von einem Verbrechen an der Menschlichkeit, von der Folter. Zunächst gab er Gökçer Tahincioğlu von T24 ein Interview, dann hatte er seinen Auftritt in einer Sendung im Halk TV… Er spricht davon, dass eigentlich das Verhör selbst eine Art Folter ist und gibt somit zu, dass auch er „gefoltert haben könnte“. Wenn wir ihm Glauben schenken, hat er nicht mit elektrischem Strom gefoltert. Auch grobschlächtige Methoden wie „Ohren abschneiden“, „Augen ausstechen“, „in Säuregraben werfen“ etc., was wir als Foltermethoden der JITEM, einem informellen „Geheimdienst und Terrorabwehr der türkischen Gendarmerie“, dessen Existenz vom türkischen Staat stets geleugnet wurde, in den 1990er Jahren noch kennen, habe er nicht einsetzen wollen. Nur klassische Methoden wie die „Bastonade“ hätte er angewendet. Und einige andere Techniken: „Unsere Kolleginnen hatten wir schreien lassen. Dann sagten wir zu dem Verdächtigen, wir hätten seine Tochter. ‚Wenn du nicht redest, wird sie Schwierigkeiten bekommen‘. Wir haben also geschauspielert.“ (Für die Opfer war es natürlich viel mehr als ein Schauspiel.)

Keine Reue. Der Staat darf alles

Viele Menschen reiben sich erstaunt die Augen, wenn sie verfolgen, wie ein Folterer so ruhig von seinen Taten erzählen kann. Auch Tahincioğlu, der das Interview geführt hatte, erzählt, dass Eymür tiefen entspannt und selbstsicher von diesen Themen sprechen konnte. Wie ein pensionierter Lehrer, der von seiner jahrelangen Berufstätigkeit spricht; wie ein Fernfahrer, der von seinen Touren erzählt; wie ein Textilarbeiter, der wie ein Teil der Webmaschine funktioniert hat. Als würde er von seinem Besuch bei seinem Cousin berichten, erzählt er von seiner „Arbeit“, die ihn doch nicht zur Reue, zur Scham veranlassen muss. Es war halt ein Job wie jeder andere auch: „In meinen Augen darf der Staat alles.“ Jemand, der seine „Arbeit“ mit dieser Legitimität und Selbstsicherheit gemacht hat, kann doch seine Arbeit nicht kritisch hinterfragen und erst recht keine humanistischen Einwände gelten lassen.

Die Antwort auf die Frage, wie Boshaftigkeit zu so etwas Normalem wird, gibt der pensionierte Folterer dann auch selber zu: „Ein gutmütiger Mensch nutzt uns doch nichts.“

Wenn er von Wir spricht, meint er die Sicherheitsapparate des Staates, der über jede Kritik erhaben sein soll. Vom Geheimdienst bis zur Polizei; so begründet er den Einsatz von seinen Auftragskillern wie Yeşil, Çatlı, Çakıcı etc. Natürlich hat man darüber immer wieder gesprochen. Ex-Jitem-Mitarbeiter oder Kronzeugen haben immer wieder davon berichtet. Wir kannten diese Machenschaften bereits. Das einzig Neue ist, dass jetzt ein führender Kopf davon berichtet. Ja, ein ehemaliger „Stabschef“ berichtet jetzt, wie der Staat für seine „dunklen Geschäfte“ „boshafte Figuren“ eingesetzt hat, nicht davor zurückschreckte zu morden, zu erpressen, zu drohen und Schutzgelder einzutreiben.

Seine Enthüllungen machen deutlich; „Es sind die staatlichen Sicherheitsorgane, die sich mit dunklen Geschäften beschäftigen, bei denen gutmütige Menschen fehl am Platz wären“ Die Enthüllungen Eymürs müssen wir jetzt in Verbindung mit der seit Jahrzehnten mantraartig wiederholten Mär vom „sauberen Staat, bei dem es auch einige schwarze Schafe geben kann“ setzen und die Frage stellen: „Sind nur diejenigen, die den Finger am Abzug hatten, die ‚schwarzen Schafe‘? Kann man den diese schmutzigen Figuren einsetzen und dabei selbst sauber bleiben?“

Es geht um die Kontinuität des Staates

Allerdings muss man ihm an einer Stelle widersprechen: Dieser schmutzige Apparat hat sich auch gutmütigen Menschen gewidmet. Nämlich dann, wenn er sie verfolgt hat. In seinem Legitimitätsschild hat er sie ihr Leben lang mit Unglück überzogen. Saubere Menschen wie die Revolutionäre, Demokraten und Patrioten dieses Landes hat er gefoltert. Eymür erzählt von „hartnäckigen Typen, die uns zur Folter zwingen“. In der Tat sind sie sehr hartnäckig. Hartnäckig widersetzen sie sich dem Dreck, versuchen sauber zu bleiben und nehmen dabei auch in Kauf, gefoltert, verstümmelt und getötet zu werden.

Eymür, dieser ehemalige Stabschef der staatlichen Sicherheitsorgane unterstreicht mit seinen in aller Ruhe und kaltblütig gemachten Schilderungen eine weitere, bekannte Tatsache: auch in Fragen der Folter gilt der Grundsatz von der Kontinuität des Staates.

Dass die von Eymür detailliert beschriebenen dunklen Machenschaften seit Jahrzehnten ununterbrochen fortgesetzt und aktuell wahrscheinlich umfangreicher betrieben werden, kennen wir auch aus den Enthüllungen des Mafia-Paten Sedat Peker. Seine Gegner, nämlich die heutigen Machthaber hatten versucht, ihn zu diskreditieren und mit dem Argument zu kontern, dass man einem Kriminellen keine Aufmerksamkeit schenken und glauben dürfe. Die Antwort Pekers erinnert an die heutigen Ausführungen von Eymür: „Was glaubt ihr denn? Würden diese Enthüllungen etwa von einem Geistlichen kommen, der keinen Dreck am Stecken hat? Natürlich können diese Zeugnisse nur Leute wie ich ablegen, die Knietief im Dreck stecken.“

Was soll mach da noch sagen? Auch wenn die Regierungen sich abgelöst haben, ist der Dreck immer noch geblieben.

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