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Uneingeschränkte Solidarität mit Israel?

Der Angriff der Hamas am 7. Oktober führt den Nahen Osten in eine neue Krise. Dies ist nur der Anfang von tausenden Toten, die wir jetzt schon zu beklagen haben. Also sollte uneingeschränkte Solidarität mit Israel zu bekunden, doch ein Problem sein?

SOLIDARITÄT UM JEDEN PREIS

Das Brandenburger Tor wird mit der israelischen Fahne bestrahlt, in vielen Großstädten rufen Kommunen, Parteien, Organisationen und Einzelpersonen zu Kundgebungen auf. Direkt nach dem Anschlag der Hamas, bei dem hunderte Menschen ermordet wurden, darunter auch Frauen und Kinder. Die gesamte Welt ist in Aufruhr. Alle solidarisieren sich mit Israel. Was ja auch in Anbetracht des Zeitgeistes ja das normalste der Welt ist. Was soll man denn sonst tun, wenn unschuldige Menschen, teils in den Kibbuzen, auf Festivals oder beim Einkaufen plötzlich brutal ermordet werden? Man zeigt Mitgefühl und solidarisiert sich. Aber spätestens bei einer uneingeschränkten Solidarisierung seitens der Bundesregierung sollte man nachdenklich werden.

SOLIDARITÄT MIT DEN MENSCHEN UND NICHT MIT DEM STAAT ISRAEL

Uneingeschränkt heißt, dass man jetzt zuschauen wird, wie im Gaza ca. eine Millionen Menschen versuchen, vom Norden in den Süden zu fliehen. Und das an einem Ort, der fast so groß wie Köln ist und in dem mehr als doppelt so viele Menschen leben. An einem Ort, wo es kein Entkommen gibt. Alle Wege sind versperrt. Und das seit einigen Jahrzenten. Eine blinde Solidarität mit einer rechtskonservativen Regierung, deren Verteidigungsminister sagte: „Kein Strom, kein Essen, kein Sprit, alles ist abgeriegelt. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend“ werden damit akzeptiert. Uneingeschränkt bedeutet zuzuschauen, wie Krankenhäuser ihre Patienten nicht mehr versorgen können und hunderttausende einer humanitären Katastrophe ausgesetzt sind.

Von den ca. 2,2 Millionen Menschen, die in Gaza leben, sind etwa die Hälfte Kinder. Es sind jetzt schon 2500 tote Menschen dort. Die Bodenoffensive steht noch aus.

Sozialdemokraten, Gewerkschaftsfunktionäre und Linke betonen bei den Soli-Aktionen mit Israel, dass es keine Rechtfertigung der Angriffe Hamas gebe. Ja, es gibt keine Rechtfertigung für Morde an Zivilisten. Es ist keine Lösung auf der einen oder anderen Seite zu stehen. Weder auf der Seite von Hamas, die auch unter anderem die Palästinenser in Geiselnahme nimmt, noch auf die Seite eines Staates, der seit 75 Jahren die Palästinenser unterdrückt.

HAMAS UND ISRAELS MACHTHABER SIND ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

Eine kurze Betrachtung der jüngeren Geschichte zeigt schon, dass das Vorgehen der Regierungen Israels immer für Zündstoff in der Region gesorgt hat. Israel hat 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel Ende 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten, einschließlich dem annektierten Ost-Jerusalem, aufgefordert. Auch dieses Jahr im Februar kam eine sehr deutliche Kritik der UN an der Siedlungspolitik.

In einer Stellungnahme vom Februar heißt es, dass die „anhaltende israelische Siedlungstätigkeit die Tragfähigkeit der Zwei-Staaten-Lösung (…) ernsthaft gefährdet“. Die Erklärung wurde einstimmig verabschiedet. Auch die UN beobachtet seit Jahren die Situation mit Besorgnis.

Insgesamt sind laut den UN-Beobachtern seit 2008 6407 Menschen auf palästinensischer Seite gestorben. Israel verzeichnete in den vergangenen 15 Jahren 308 Todesopfer. Ähnlich groß ist die Differenz bei den Verletzten: 152.560 Palästinenserinnen und Palästinenser stehen 6307 Israelinnen und Israelis gegenüber. So berichtet es das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA).

WO BLEIBT DIE SOLIDARITÄT MIT DEN PALÄSTINENSERN?

Seit Jahrzenten gibt es hin und wieder mal Krokodiltränen für die Palästinenser. Nach der letzten Attacke der Hamas, bis heute jedoch nicht. Eine ganze Bevölkerung wird gleichgesetzt mit einer Terrorgruppe. Als wäre jeder Mensch muslimischen Glaubens ein Hamas- oder Hizbullah-Anhänger.

Progressive Kräfte in Deutschland müssen sich vor allem jetzt bewusst werden, dass Kritik an der israelischen Regierung kein Antisemitismus ist. Die Angst als Antisemit abgestempelt zu werden, steht schon jeher wie ein Klotz vor den Beinen der Linken. Wir dürfen nicht die deutsche Geschichte vergessen. Deutschland trägt da eine besondere Verantwortung. Aber Verantwortung kann nicht getragen werden, in dem man bei der Unterdrückung eines anderen Volkes zuschaut.

Bei Auseinandersetzung in anderen Ländern finden Herrschende immer ausreden, um die Massen für ihr Vorgehen für sich zu gewinnen. In Deutschland ist es im Fall Israels die Antisemitismuskeule. Sicherlich haben auch „Antideutsche“ Gruppen und Strömungen ihren Beitrag dazu geleistet. Es ist nur perfide, wie dieses Spiel von einigen mitgespielt und gefördert wird.

VERBOTE UND SCHIKANEN

Demonstrationen, die für die Palästinenser gemacht werden, werden mit Verboten belegt. Palästina-Fahnen oder Schals zu tragen, kann zu Verhaftungen führen. Zahlreiche Demos und Kundgebungen wurden untersagt. Das Demonstrationsrecht gilt nicht mehr, wenn es um das Leid der Palästinenser geht.

Ein Schüler in Berlin wird von seinem Lehrer geschlagen, weil er eine Palästina Fahne bei sich hat und der Schüler wird dafür bestraft. Dass es auch Leute gibt, die die Hamas feiern, wird von den Medien so hochgeschaukelt, als wären alle Muslime Hamas-Anhänger.

UNTERSTÜTZEN

Friedensbewegte in Israel und in der Welt, wie die „Jüdische Stimme“ kritisieren das Vorgehen der israelischen Regierung. Diese gilt es zu unterstützen. Wir verurteilen die Hamas aber auch die jahrzehntelange Siedlungspolitik Israels! Als progressive Kräfte müssen wir uns nicht auf der einen oder anderen Seite positionieren. Unsere Seite sollte bei allen Menschen im Nahen Osten sein, die dieser Gewaltspirale seit Jahren ausgesetzt sind. Bei den Israelis und Palästinensern. Eine Zweistaatenlösung ist unabdingbar. Ein weiteres Wegschauen macht uns zu beteiligten dieser Krise. Nur der Frieden ist eine Lösung für die arbeitenden Menschen, Krieg ist immer das Mittel der Herrschenden.

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