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Warten auf den Sonnenaufgang in Afghanistan! 

Derya Altunyurt

Mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban im August die Macht über Afghanistan zurückgewonnen und innerhalb kürzester Zeit die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul zurückerobert. Mit der Rückkehr der Taliban sind auch die Freiheiten und Errungenschaften bedroht. 

Wenn wir uns die Geschichte der afghanischen Frau anschauen, sehen wir eine ständige Variabilität. Die Rechte, die während der Monarchie von 1919 verliehen wurden, dann die Rechte, die mit dem Fall des Königreichs übernommen wurden, die Rechte, die mit der Besetzung der Sowjets in 60 Jahren wiedererlangt wurden, der Kampf der „Alliierten“ und der Taliban gegen die Sowjets, der Abzug der Sowjets, die Rückkehr der Taliban, dann die amerikanische Besatzung, die bis 2021 andauerte. Wie hat sich die Stellung von Frauen und Mädchen im gesellschaftlichen Leben vor und nach den Taliban verändert, ausgehend von der Situation der afghanischen Frauen und der aktuellen Situation von früher bis heute? Welche Freiheiten und Errungenschaften stehen bei der Rückkehr der Taliban auf dem Spiel?

Wir führten ein Gespräch mit Samiya zu diesem Thema. Sie ist Fakultätsmitglied an der Samiya Kabul University und eine der Aktivistinnen an vorderster Front für Frauenrechte in Afghanistan. Samiya beteiligt sich am Kampf für Frauenrechte sowie am Kampf gegen die Nato und die Taliban. Samiya, die wegen Morddrohungen in Deutschland bleiben musste, wo sie vor zwei Jahren zu einer Konferenz kam, kann wegen der Drohungen nicht zurückkehren und lebt seitdem in Deutschland. Nach 11 Monaten Aufenthalt im Flüchtlingslager wurde der Asylantrag angenommen. Samiya setzt ihren Kampf in Deutschland fort, mit Organisationen, die mit der „Solidaritätspartei Afghanistan“ in Deutschland zusammenarbeiten, sie organisiert Wanderungen mit iranischen Frauenorganisationen oder referiert für Organisationen und Gruppen, mit denen sie zusammenarbeitet. Wir haben Samiya`s Antworten im fließenden Text gelassen. Im Gespräch ging es um folgende Fragen: Es heißt, dass sich die Rechte der Frauen vor allem in den letzten 20 Jahren stark verbessert haben. Was genau ist passiert? Was sind die erworbenen Rechte? Welche Rolle spielten die Frauen in Afghanistan in den letzten 20 Jahren?

Ja, Afghanistan war vor etwa 40 Jahren ein sehr säkulares Land, wir hatten sehr wenige Probleme. Vielleicht waren wir nicht reich, aber zumindest gab es damals keine Probleme. In den 70er Jahren wurden wir zu Schachfiguren zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Das konservative Segment, das diese Situation ausnutzte, gewann in Afghanistan die Macht. Daraufhin zogen sich die Sowjets zurück. Auch hier traf uns Frauen die größte Strafe. Die Kopfbedeckungspflicht und das Verbot des Alleinausgehens wurden eingeführt. Wir haben nur die Möglichkeit, mit einem männlichen Individuum auszugehen. Wir leben gerade in einer schweren Tragödie. Wir haben unser Land den Taliban überlassen. Nach dem Anschlag in New York in 9/11 tauchte in den USA ein Slogan auf: „Free Afghan People“. Aber die Wahrheit war nicht so. Niemand kam, um uns zu retten, wir wurden nur getäuscht. Unsere Häuser wurden bombardiert. Sie haben vorgegeben, uns zu retten und das haben sie nur als Vorwand benutzt, um nach Afghanistan zu kommen. Menschenrechte und unsere Rettung haben hier eine sehr schöne Rolle in den Medien gespielt um allen Honig ums Maul zu schmieren. Während sie angeblich versuchten, afghanische Frauen zu retten, ersetzten sie nur die Taliban durch andere konservative muslimische Gruppen oder Technokraten, mit Leuten, die wir Warlords nennen oder mit korrupten Mafia-Leuten aus islamischen Gesellschaftsgruppen. Wir können sogar so weit gehen und sagen, dass der erste Grundstein für den Islamischen Staat (IS) in Afghanistan gelegt wurde. Und leider waren die ersten Ziele all dieser radikalen Gruppen die Frauen dort. Ja, wegen den USA haben sich die Gesetze auf Papier vielleicht humanistischer geändert, aber es gab niemanden, der diese Gesetze überwachte. Diese demokratischen Grundlagen standen also nur auf dem Papier. Wer konnte den auch kommen oder sich trauen, überhaupt etwas  von einem Warlord oder der Mafia zu verlangen.

Aber jetzt sehen wir, dass sich die afghanischen Frauen verändert haben. Frauen gehen ohne Angst auf die Straße, obwohl die Taliban wieder an der Macht sind. Sie fragen warum? Weil wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben. Wir sahen, dass es keine Hilfe von außen oder von den Vereinigten Staaten gab, also verstanden wir, dass wir uns selbst helfen mussten. Als Beispiel haben wir uns zum Beispiel die kurdischen Frauen in Kobane genommen. Wir glauben nicht mehr, dass fremde Nationen kommen und uns retten werden, wir wissen, dass das Gesagte gelogen ist. Jetzt sehen wir, dass die Taliban im ganzen Land dominieren und sogar von Pakistan und der Türkei unterstützt werden. Im Moment gibt es kein Geld in Afghanistan, niemand kann sein Gehalt bekommen, es gibt kein Essen. Überall herrscht Verfolgung. Aber die Medien zeigen nichts davon. Die Menschen, die zu den Flughäfen strömen, sind die Elite in Afghanistan. Menschen aus dem einfachen Volk haben diese Chance nicht und die Situation, in der sie sich befinden, spiegelt sich nicht in ihren Köpfen wider. Wir werden unseren eigenen Kampf organisieren und diese Tage durchstehen. Wir warten, bis die Sonne wieder aufgeht. Denken Sie daran, dass nach jeder Dunkelheit die Sonne wieder aufgeht.

Leider können die Menschen, die nicht für sich selbst kämpfen, nicht entkommen, Bauern anderer Länder zu sein.

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