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Wider dem Imperialismus

Taylan Ciftci

Die aktuelle Krise an der ukrainisch-russischen Grenze hat sich bis heute nicht abgekühlt. Die Zeichen stehen auf weitere Eskalation trotz täglicher diplomatischer Begegnungen der beteiligten Staaten und Parteien. In Washington wird seit einigen Tagen vor einer russischen Invasion gewarnt, die in der kommenden Woche Realität werden könne. Moskau dementiert derartige Beschuldigungen und warnt auf der anderen Seite vor einem Angriff der regulären ukrainischen Streitkräfte auf den Donbas. An allen Fronten überwiegt der Informationskrieg und der Wille zur Mobilisierung der entsprechenden Bevölkerungen im Falle eines heißen Krieges.

Der geopolitische Kampf rund um die Ukraine ist verzwickt, die Handlungen der verschiedenen Akteure intransparent. Moskau führt in dieser Woche in Belarus Militärübungen in der Nähe der ukrainischen Grenze durch. Berlin sichert Litauen weitere Bundeswehrsoldaten für die NATO-Mission im baltischen Nachbar Russlands zu. Derweil macht Kiew weiter Druck auf die Bundesregierung, ihre ablehnende Haltung Waffenlieferungen gegenüber zu überdenken. Tagtäglich ist auch in deutschen Medien die Warnung zu lesen, dass Moskau kurz vor einer Invasion stünde. Eine Entspannungspolitik bleibt weiterhin illusionär.

Umgekehrt ergibt sich die Gelegenheit für friedenspolitische Bewegungen, die geopolitischen Interessen in Europa deutlicher denn je zu demaskieren. Insbesondere die Ukraine ist seit einigen Jahren zum Spielball imperialer Strategien verkommen. Während Washington das Land endgültig in das transatlantische Militärbündnis integrieren möchte, um es als verlängerten Arm gegen Moskau einzusetzen und gleichzeitig den ukrainischen Rohstoffmarkt zu erobern, versuchen Brüssel und Berlin seit geraumer Zeit eine westeuropäische Bindung Kiews zu verdichten. Das EU-Assoziierungsabkommen stellte bis jetzt den gewaltigsten Versuch einer Entkoppelung der Ukraine vom russischen Nachbarn dar.

Es wäre blauäugig, Moskaus Handlungen als antiimperiale Befreiung der Ukraine zu betrachten. Der „große russische Bruder“ hat mehrere Interessen an seinem ukrainischen Nachbarn, die weder selbstlos noch friedlich sind. So kämpft auch das russische Energiemonopol Gazprom um die ukrainische Rohstoffproduktion und -weiterleitung und startete in der Vergangenheit schon mehrere Versuche, sich diese einzuverleiben. Der Gasstreit der zwischen Moskau und Kiew vor 17 Jahren entfachte, zeigt die strategische Bedeutung der Ukraine als Transitland und Abnehmer des russischen Gases auf. Zusätzlich ist die militärische Bedeutung der Ukraine für Moskau zentral. Die Annexion der Krim stellt die Absicherung des russischen Stützpunktes in Sewastopol dar und garantiert Moskau einen verstärkten Zugriff auf das Schwarze Meer.

Übergeordnet streiten Washington und Moskau um die zukünftige Sicherheitsstruktur in Europa. Putin sieht Macron auch deshalb als engsten Vertrauten unter den westeuropäischen Konkurrenten, da Paris das bisherige transatlantische Bündnis am vehementesten in Frage zu stellen vermag. Das Drohpotential, dass Moskau vor der ukrainischen Grenze aufrecht erhält, wirft gleichzeitig die Frage nach einem neuen europäischen Sicherheitsbündnis auf, welches Paris bereits in der Vergangenheit unter den Begriff einer europäischen Armee subsumierte. Inwieweit sich die Tendenzen eines europäischen Militärbündnisses unter Einschluss Russlands verstärken, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass eine derartige neugestaltete Struktur ebenfalls ein militärischer Ausdruck eines geopolitischen Konsens zwischen Brüssel und Moskau darstellen und keinesfalls das Ziel des geheiligten Weltfriedens auf die Agenda setzen würde.

Eine Friedenspolitik muss die geopolitischen Interessen aller Mächte demaskieren und den praktischen Druck auf die eigene nationale Regierung erhöhen. Im Klartext bedeutet das, jegliches geostrategisches Spiel um die Ukraine zu verurteilen und sich mit den fortschrittlichen und antiimperialen Kräften innerhalb der Ukraine zu solidarisieren. Die praktischen Forderungen einer deutschen Friedenspolitik müssen sich nichtsdestotrotz auf die Bundesregierung konzentrieren. Dabei muss unterschieden werden zwischen Nord Stream 2 und einer glaubwürdigen friedenspolitischen Praxis. Nord Stream 2 kann in Zukunft die deutsche Industrie und das russische Gazprom sättigen und auch den Großmachtanspruch beider Länder verstärken. Diesem Anspruch auf deutscher Seite kann aber nur glaubwürdig durch eine Ablehnung jeglicher Auslandsstationierungen der Bundeswehr, jeglicher Waffenverkäufe und jeglicher ökonomischer Machtdemonstrationen entgegengewirkt werden.

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