Alev Bahadir

In den vergangenen Wochen haben islamistische Anschläge in Frankreich immer wieder für Aufsehen gesorgt. Diese Anschläge sind zweifelsohne Angriffe auf unser aller Zusammenleben und können auch nicht mit der Verletzung von religiösen Gefühlen verteidigt werden. Die daraus entstandene Stimmung werden vor allem rechte Kräfte in der Gesellschaft nutzen, um die Gräben zwischen uns noch zu vertiefen. 

Die Gefahr, dass sich diese Gräben auf ganz Europa ausweiten, ist heute umso größer. Denn am Abend vom 2. November hat ein, zu diesem Zeitpunkt mutmaßlicher, islamistischer Anschlag in der Innenstadt von Wien stattgefunden. Bei diesem Anschlag, bei dem an wohl 6 verschiedenen Orten mit Sturmgewähren bewaffnet um sich geschossen wurde, wurden 4 Menschen getötet, etwa 15 verletzt. Sogleich kamen aus ganz Europa Beileidsbekundungen, u.a. auch aus Frankreich, in dem es in den vergangenen Wochen mehrmals zu Anschlägen gekommen ist.

In den vergangenen Monaten gab es in Frankreich drei Anschläge. Der erste ereignete sich am 25. September. Ein junger Mann griff zwei Menschen mit einem Messer an und verletzte sie. Der Hintergrund: der Anschlag wurde in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Redaktionsräume des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ begangen. Der Attentäter war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die beiden Personen Angestellte des Magazins seien. Dieses hatte immer wieder Karikaturen des Propheten Mohammed abgedruckt. Die bildliche Darstellung Mohammeds ist in weiten Teilen der muslimischen Glaubensgemeinschaft verboten. Am 7. Januar 2015 wurde ein Anschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo durch zwei Islamisten begangen, wobei sie 11 Menschen, sowie einen weiteren auf der Flucht, ermordeten. Der Fall sorgte auf der ganzen Welt für eine große Anteilnahme und entflammte die Diskussionen um Pressefreiheit, sowie um den Islam erneut. Im September dieses Jahres hat der Prozess gegen mutmaßliche Täter begonnen. Zu Beginn des Prozesses hatte das Magazin erneut Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, was wohl der Auslöser für die Messerattacken war.

Am 16. Oktober enthauptete ein 18-jähriger Mann einen jüdischen Lehrer in einem Pariser Vorort. Der Lehrer hatte im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo gezeigt. Danach startete eine Online-Kampagne gegen den Lehrer, die vor allem von einem Vater einer Schülerin angeführt wurde. Der Vater hatte am Tag des Anschlags Kontakt mit dem Täter über WhatsApp.

Der dritte Anschlag ereignete sich am 29. Oktober. Ein Mann ermordete drei Menschen in Nizza in einer Kirche. Auch bei diesem Anschlag soll es ein islamistisches Motiv gegeben haben. 

All diese Taten wurden sofort von Politikern genutzt, um sich selbst zu profilieren. Da ist z.B. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dieser hat sich hinter die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gestellt und strenge Kontrollen von Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen angekündigt. Das sorgte für Empörung in muslimischen Ländern, viele, vorneweg der türkische Präsident Erdogan, riefen zu einem Boykott von französischen Produkten auf. All dies führte zudem zu einem medienträchtigen Kleinkrieg zwischen Macron und Recep Tayyip Erdoğan.

Für Macron kommt diese Auseinandersetzung nicht ungelegen. Frankreich war eines der am stärksten betroffenen Länder von Corona. Knapp 37.000 Menschen sind an dem Virus bereits gestorben und das, obwohl Frankreich im Frühjahr einen der strengsten Lockdowns hatte. Heute sind die Maßnahmen deutlich lockerer, auch um die Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Denn Frankreich ist besonders stark von der aktuellen Wirtschaftskrise betroffen. Der Wirtschaftseinbruch um etwa 11 Prozent soll mit einem 100 Milliarden Euro Aufbaupaket durch die französische Regierung abgefedert werden. Nichts desto trotz wird eine Zahl von 800.000 Neuarbeitslosen bis zum Jahresende erwartet. Da lenken die aktuellen Geschehnisse gut ab. So mischte sich Macron bereits ein, als es vor einigen Monaten zu einem Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland aufgrund der Erdölvorkommen im Mittelmeer gekommen war. 

Mit den Maßnahmen gegen Muslime beweist  Macron „Stärke“ für all diejenigen, die durch Islamophobie und der Heraufbeschwörung von einem „Kampf der Kulturen“ die Gesellschaft spalten möchten. Denn sofort nach den Anschlägen war Marine Le Pen, Chefin der rechten Rassemblement National (ehemals: Front National), zur Stelle, um Terror mit Migration in Verbindung zu setzen und eine „Kriegsgesetzgebung“ zu fordern. Auch Politiker der konservativen Partei forderten Konsequenzen, einer sprach sogar von einem „„Guantánamo à la française“, einem französischen Guantanamo, wo potentielle „Gefährder“ präventiv weggesperrt werden sollen. 

Und damit treffen sie keinesfalls nur auf Empörung. Denn Fakt ist:: seit den Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 hat der Rassismus gegen Muslime zugenommen. Auch in Deutschland äußerte sich das durch das Entstehen und Erstarken rechter Gruppierungen und Bewegungen, wie PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), wo stellenweise über 30.000 Menschen mitliefen. Doch auch Muslime werden in diesen Auseinandersetzungen nicht selten instrumentalisiert. Eben von Menschen, wie Erdoǧan, die sich in solchen Tagen als die Beschützer und Interessenvertreter der Muslime aufspielen. Dabei ist es aber Erdoǧan, der bekanntlich IS-Kämpfer mit Waffen belieferte und sie über die türkisch-syrische Grenzen kommen ließ. Dabei interessieren die AKP Regierung, die „einfachen“ Muslime keinen Millimeter. Viel mehr kann er hiermit nach außen – genauso wie Macron es tut – Aggression zeigen und somit der eigenen Bevölkerung seine „Stärke“ beweisen. 

Weder Macron, noch Erdoǧan und schon gar nicht Le Pen und Co. interessieren sich wirklich für die Menschen. Weder für jene, die bei den Anschlägen ums Leben kamen, noch für die, die von den rassistischen Anfeindungen betroffen sind. Sie sind es, die ein Klima des Hasses und der Wut schaffen, weil sie für ihre Existenz diesen Hass brauchen. Diese Kräfte handeln im Sinne der Reichen und Mächtigen und das das System so weiterläuft, während die Menschen sich gegenseitig zerfleischen sollen. Wie die Geier kreisen sie um die Menschen, um sich auf ihren Kadavern zu nähren. Erst wenn Menschen sich nicht mehr aufgrund Herkunft oder Religion spalten lassen, nicht zulassen, dass sie zu Spielbällen zwischen diesen Kräften werden und wenn sie aufstehen und Nein Rassismus, Krieg und Armut sagen, erst dann wird sich etwas verändern.