Taylan Ciftci
Bundesweit fanden am 1. September Kundgebungen und Demonstrationen gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung statt: In einigen Orten sogar gleich mehrere Parallel- bzw. als Alternativveranstaltungen. Denn die Risse innerhalb der Friedensbewegung sind bis heute nicht behoben, bestehen tiefer als zuvor. Warum sich die Spaltungstendenzen zusehends vertiefen und welche Losungen aktueller denn je sind, wollen wir in diesem kurzen Beitrag diskutieren.
Antikriegstag gestern und heute
Der Antikriegstag zählt seit 1957 zu den zentralen Terminen der Friedensbewegung in Westdeutschland. Der 1. September markiert den Tag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen und damit den Beginn des grausamsten Krieges der Menschheitsgeschichte. Erinnert, gedenkt und gemahnt wird daher auch an die Opfer der beispiellose Barbarei des Faschismus, an die Opfer des Vernichtungskrieges gegen Juden, Sinti, Slawen und Sozialisten. Neben den Friedensinitiativen und Organisationen wie den Falken und der Naturfreundejugend wurde der Antikriegstag unter breiter gewerkschaftlicher Beteiligung ins Leben gerufen und drückt daher den Anspruch aus, ein Aktionsfeld mit Massenbasis zu sein. Das ostdeutsche Pendant des Weltfriedenstags fand bereits 1946 statt.
In heutigen Zeiten ist der Antikriegstag zunehmend ein Schatten seiner selbst. Nur noch ein paar hundert Menschen versammeln sich am, abgesehen vom Ostermarsch, wichtigsten Tag des Friedensbewegung. Der Altersdurchschnitt liegt schätzungsweise bei 60+ und gesichtet werden meist die immer gleichen Gesichter und immer gleichen Organisationen, bis auf ein paar Ausnahmen (dazu gleich mehr). Und das, obwohl es Gründe genug gibt, für Frieden und gegen Krieg auf die Straßen zu gehen. Der Ukrainekrieg und die damit zusammenhängende Verarmung der Völker, Hochrüstung der Bundeswehr und der entsprechende Sparkurs der Bundesregierung gegen die Arbeiterklasse und schließlich die zunehmende Weltkriegsgefahr sollten Motivation genug sein, eine breitere Front für den Frieden zu bilden, die die immer gleichen Akteure in der potentiellen Masse untergehen lassen würde.
Inhaltliche Schwerpunkte
Inhaltlich kann man an den Organisatoren der traditionellen Friedensbewegung nur punktuell Kritik ausüben. Der Ukrainekrieg und das Sondervermögen der Bundeswehr waren die zentralen Bezugspunkte der inhaltlichen Auseinandersetzung in den Reden der Friedensbewegten. Dass die Invasion des russischen Staates kaum bis gar nicht artikuliert, geschweige denn kritisiert wurde, ist die Erbsünde einer damaligen historisch falschen Beurteilung des russischen Imperialismus, der bis heute wirkt und rüttelt, umso mehr an der Glaubwürdigkeit der Friedensbewegung. Wer Kriege für Profitinteressen und geostrategische Positionen verurteilt, der muss selbstverständlich auch den Angriffskrieg der russischen Armee verurteilen.
Doch auch wenn wir die Beurteilung des Ukrainekrieges ausblenden würden, oder uns „neutral“ verhielten und unterstellten, dass alle bisherigen Akteure innerhalb der Bewegung ähnliche Auffassungen vertreten, so krankt die Friedensbewegung trotzdem an einem Thema: das Aufkeimen neuer Organisationen innerhalb der Initiativen und Bündnisse und ihre Partizipation an den entsprechenden Aktionen. Die Kleinpartei die Basis war in einigen Orten am Antikriegstag sichtbar und die Freie Linke nimmt an Sitzungen der Friedenskoordination Berlin teil. Die Teilnahme und Sichtbarkeit derartiger Gruppierungen führte nicht zuletzt zu einem größeren Disput innerhalb der Bewegung. Die kontrovers geführte Diskussion, ob mit solchen Gruppierungen kooperiert werden kann und darf, gipfelte schließlich in der Streitfrage, inwiefern die Friedensbewegung „rechtsoffen“ sei.
Rechtsoffenheit?
Dem Antikriegstag war eine digitale Infoveranstaltung zu genau dieser Frage der „Rechtsoffenheit“ vorangegangen. Die Wichtigkeit der Klärung spiegelte sich in der breiten Teilnahme des traditionellen Spektrums der Friedensbewegung von mehr als 400 Teilnehmenden wider. Abstrakt lassen sich zwei Lager charakterisieren. Auf der einen Seite jene Kräfte, die den Vorwurf der Rechtsoffenheit zurückweisen und auf der anderen Seite jene, die den Vorwurf für eine reale Begebenheit halten. Innerhalb der Lager und zwischen diesen finden sich eine Reihe von Zwischenpositionen und ein Potpourri von weltanschaulichen Ansätzen. Viele Begriffe fielen und fallen, viele Appelle wurden und werden formuliert, ohne hinterher als Beobachter oder Teilnahme spüren zu können, dass die Friedensbewegung einen Schritt vorwärts gegangen ist. Im Gegenteil werden ihre Risse nicht nur aufgedeckt, sondern vertieft.
Es ist eine Tatsache, dass die AfD und mit ihr verbündete oder ihr nahestehende Organisationen seit längerem den Versuch unternehmen, friedenspolitische Positionen im Rahmen einer reaktionären Propaganda zu adaptieren. Die AfD als „Friedenspartei“, die AfD als „Partei der kleinen Leute, die von Krieg betroffen sind“, die AfD als „Partei gegen Inflation“, die AfD als „Partei gegen die US-Dominanz“ und viele weitere Charakterisierungen auf die die AfD bei ihrer Selbstinszenierung abzielt. Die Diskussion über „Die Basis“ und die „Freie Linke“ ist zwar eine etwas andere. Doch stellt sich auch hier die Frage, ob derartige Gruppierungen und ihre Aktivitäten innerhalb der Friedensbewegung nicht ein Ventil rechtsradikaler Positionen sind. Die Beantwortung dieser Frage lässt sich nur durch eine gezielte Analyse der Theorie und Praxis jener Organisationen bewerkstelligen. Bis heute ist das aber noch nicht geschehen.
Friedensbewegung als Massenbewegung
Die Streitereien, so inhaltlich und bedeutend sie auch sein mögen, zeigen uns aber auch den Zustand der Friedensbewegung in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Wenn darüber gesprochen wird, ob die Friedensbewegung links ist oder rechtsoffen, antikapitalistisch oder gar sozialistisch sei, ist das ein Indikator dafür, dass sie sich zunehmend zu einem anspruchsvollen Diskussionsforum politisierter Zeitgenossen limitiert. Von einer Massenbewegung im eigentlichen Sinn kann in Bezug auf die Friedensbewegung schon seit längerem nicht mehr gesprochen werden, obwohl in der ersten Hälfte des Jahres 2022 ein (wenn auch durch die Regierungsparteien dominierter) Aufschwung friedenspolitischen Interesses zu verzeichnen war.
Viele Ausreden, die als Erklärungsversuche hinhalten sollen, werden gefunden, um den derzeitigen Charakter der Bewegung zu deuten. Die Gewerkschaften vertreten reaktionäre Positionen zu Krieg und Aufrüstung, die Klimabewegung wäre ein reines Werkzeug der imperialistischen Politik der Grünen oder die Rechtsoffenheit blockiere das Wachstum der Friedensbewegung. Natürlich sind diese Erklärungsversuche nicht vollständig falsch, sie sind nur nicht konstruktiv. Die Frage müsste nicht nur lauten, warum die Bewegung nur noch von den immer selben Leuten getragen wird, sondern wie sie wieder eine breitere Basis und Masse für ihre Praxis erreichen und einbinden kann, wie schlussendlich in den Gewerkschaften und der Umweltbewegung, in den Betrieben und den Schulen friedenspolitische Positionen gestärkt werden können. Nur so werden die ideologischen Grabenkämpfe entweder in den Hintergrund rücken oder erst dann überhaupt eine reale Bedeutung erhalten. Solange die derzeitige Bewegung unter sich bleibt, wird sie sich weiter spalten und den reaktionären Kräften in der Welt da draußen das Feld überlassen.