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Gesundheit von Arbeitern und Migrationen weniger wert?

Dilan Baran

Am 1. Oktober wird das Krankenhaus Groß-Sand im Hamburger Arbeiterviertel  Wilhelmsburg seine Pflegeschule schließen. Auch das Krankenhaus selbst ist wegen eines Sanierungsstaus in Millionenhöhe gefährdet. Groß-Sand ist ein Allgemeines Krankenhaus der Grund- und Notfallversorgung für derzeit 55.000 Menschen, die im flächengrößtem Stadtteil Hamburgs leben. Zudem gehört die Region südlich der Elbe auch zu den am stärksten wachsenden. Überall wird gebaut. Für die nächsten Jahre sollen über 7.000 neue Wohnungen entstehen. Demnach wird der Stadtteil in naher Zukunft auf 60 bis 70 Tausend Einwohner anwachsen. Während es allerdings nördlich der Elbe 40 Krankenhäuser gibt, werden südlich der Elbe derzeit fast 300 000 Menschen von nur 3 Krankenhäusern versorgt.

Und das, obwohl die Wilhelmsburger aufgrund der Nähe zu Industrie, Gefahrengutbetrieben, Schnellstraßen und ihrer leicht abzuschneidenden Insellage besonderen Gefahren ausgesetzt sind. Bei der Flut 1962 mit rund 200 Toten war der Stadtteil mehrere Tage vom Rest der Stadt abgeschnitten, die Elbbrücken sind regelmäßig durch Staus blockiert, mehrere Großbrände und eine Explosion in der Industriestraße haben sich in den letzten Jahren ereignet und die Wohngebiete sind geradezu umzingelt von Gefahrengutlagern und -betrieben, denn Wilhelmsburg ist Hafen und Stadt zugleich. 

Die Klinik wurde vor über 100 Jahren als Betriebskrankenhaus der Hamburger Wollkämmerei gegründet. 450 Menschen arbeiten hier. Einer der größten Arbeitgeber auf der Elbinsel. Das Ärzteteam der Chirurgischen Abteilung des Wilhelmsburger Krankenhauses Groß-Sand erklärt in einem offenen Brief, dass der ursprüngliche Gedanke des von der katholischen Kirche gegründeten Hauses aus der Verantwortung für die Bevölkerung eines Stadtteils zugewanderter Arbeiter rührte. Heute ist über die Stadtteilgrenzen hinaus bekannt, dass sich auch die Pflegeschule besonders dieser Verantwortung widmet. In einem offenen Schreiben aus der Krankenpflegeschule heißt es: Unsere Schule „zeichnet sich insbesondere durch die direkte Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund aus. Sprachbarrieren zu beseitigen und in den kulturellen Austausch zu gehen war stets Teil des Unterrichtskonzepts. 

Sollte der Senat der Schließung der einzigen Grund- und Notfallversorgung hier tatenlos zusehen, wäre das eine Entscheidung mit deutlicher Aussage an die Wilhelmsburger: Eure Versorgung und Gesundheit sind weniger wert. 

Die derzeitige Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen (DRG) setzt vor allem kleine Krankenhäuser wie Groß-Sand unter Druck, denn jede Operation ist an eine feste Summe geknüpft. Damit können sich die Krankenhäuser nicht auf eine Grundfinanzierung verlassen, sondern müssen jeder Behandlung einen Preis beimessen. Entsprechend müssen die Krankenhäuser zusehen, wie sie profitable Operationen an Land ziehen; oder halt dicht machen. Die Fallpauschalenregelung wird Berechnungen nach in Zukunft rund 800 der 1400 deutschen Krankenhäuser in den Ruin treiben. 

Seit der Privatisierung der Hamburger Krankenhäuser 2004 gibt es außer dem Universitätsklinikum kein einziges städtisches Krankenhaus mehr in Hamburg. Für gewisse Versorgungen auch der privaten Krankenhäuser kommt die Stadt trotzdem auf. Die weiterhin im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und Grünen vorgesehenen 2 Milliarden Euro zur Krankenhausfinanzierung sind dabei offensichtlich nicht für die Menschen in Wilhelmsburg gedacht. 

Gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft, Deniz Celik, wendet sich in seiner Presseerklärung deshalb direkt an den Senat: Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, dass Krankenhäuser als zentrale Stützpfeiler der Daseinsvorsorge eine überragende Bedeutung für unser aller Gesundheit haben. Jetzt müssen dem Applaus und warmen Worten auch Konsequenzen folgen. Zudem darf nicht sein, dass die Einwohner einfach von der Krankenhausversorgung abgeschnitten werden und erwartet wird, dass sie bis nach Harburg oder St. Georg in die Notfallambulanz fahren. Deshalb erwarten wir vom Senat, dass er mit allen Mitteln die Schließung des Krankenhauses verhindert. Staatshilfen, die für Hapag-Lyold oder Tom Tailor möglich sind, muss erst recht für Krankenhäuser drin sein.

Das Ärzteteam der Chirurgischen Abteilung wendet sich in ihrem öffentlichen Schreiben außerdem an ihre Gemeinde (Die Klinik wird von der Gemeinde Bonifatius getragen, wird aber inzwischen faktisch vom katholischen Erzbistum gemanaged): Das Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand hat als Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung den Versorgungsauftrag für die Bevölkerung der Elbinsel. Trotz wirtschaftlicher Schieflage des Krankenhauses darf sich die katholische Kirche als Träger dieser Aufgabe nicht entziehen. 

Sie widersetzen sich in ihrem offenen Schreiben zudem vehement dem in medialen Berichten vermittelten Eindruck fehlender Fachkompetenz und Spezialisierung im Krankenhaus Groß-Sand. „Die Fehler von Groß-Sand“ titelte kürzlich gleich zwei Tage hintereinander das Hamburger Abendblatt. Die Notfallambulanz ist eine aber eine der größten in ganz Hamburg. Nicht zuletzt durch Notfälle und Unfälle aus den großen Gewerbe-und Industriebetrieben im Hamburger Süden. Darüber hinaus wirkt das Krankenhaus mit seiner Rehaklinik weit in die Region. Das „operative Hernienzentrum“ strahlt bundesweit, ja sogar international aus.

Das Ärzte Team empfiehlt nach zweiseitiger Ausführung von Expertise und beispielhaften Ergebnissen die Betitelung auf „Die Fehler der Gesundheitspolitik am Beispiel von Groß-Sand“ umzuändern. Viele deutsche Krankenhäuser schrieben derzeit rote Zahlen. Groß-Sand befände sich was das angeht, auch in Hamburg, in sehr guter Gesellschaft!

Der Fall Groß-Sand stinkt also in mehrfacher Hinsicht bis zum Himmel und in einem Jahr von Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise ein besonderer Skandal. 

Die Wilhelmsburger setzen sich nun aber zur Wehr. Mit Unterstützung des Vereins „Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg“ hat sich die Initiative „Groß-Sand bleibt“ aus Beschäftigten, PflegeschülerInnen und Menschen, die auf der Elbinsel wohnen bzw. arbeiten gegründet. Nach ersten Protestaktionen vor dem Krankenhaus und der Pflegeschule werden jetzt Unterschriften für deren Erhalt gesammelt.

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