Written by 16:05 DEUTSCH, TÜRKEI

I.S.A.R. Einsatz in der Türkei

I.S.A.R. Germany ist eine gemeinnützige Hilfsorganisation. Sie wurde 2003 in Duisburg gegründet und kommt weltweit zum Einsatz. Der Name I.S.A.R. steht für „International Search-and-Rescue“ und ist ein Zusammenschluss aus Spezialisten verschiedener Hilfsorganisationen und dem Bundesverband Rettungshunde e.V. Wir haben mit Marlis Hesse von I.S.A.R. über ihren Einsatz im Erdbebengebiet in der Türkei gesprochen.

YÜCEL ÖZDEMİR

Foto: ISAR GERMANY

Wie haben Sie von dem Erdbeben in der Türkei erfahren und was war Ihre Reaktion?

Wir von I.S.A.R. Germany haben eine sog. Warn-App, wo von unserer Teamleitung ein Alarm rausgeschickt wird und so habe ich tatsächlich von dem Erdbeben erfahren. Das war am Montagmorgen um 4.45 Uhr, also wurde ich quasi davon geweckt. Bei uns in der Teamleitung wurde dann entschieden, wer in die Türkei fliegt. Wir haben ein I.S.A.R. Türkiye-Team vor Ort. Das ist eine Kooperation und dadurch war eigentlich relativ schnell klar, dass wir auch hinreisen werden, um zu helfen.

Sie machen diese Arbeit ehrenamtlich? Wie lange machen Sie diese Arbeit und aus welcher Motivation heraus?

Ja, die Arbeit ist ehrenamtlich. Ich mache das seit ungefähr 2016. Die Motivation kommt daher, dass man immer wieder im Fernsehen sieht, dass eine Katastrophe passiert, wie z.B. ein Erdbeben und man nicht direkt helfen kann. Ich hatte dann immer das Gefühl, dass ich mit anpacken und vor Ort sein muss, um etwas zu tun. Dadurch habe ich mich bei I.S.A.R. Germany beworben und bin seitdem dort tätig.

Wie ist die Vorgehensweise nach so einem Alarm? Brauchten Sie eine Einladung aus der Türkei?

Normalerweise müssen wir immer innerhalb von 6 Stunden bereit sein, am Flughafen zu stehen, das ist quasi die Vorgabe. In diesem Fall war ich um 11.00 Uhr im Lagezentrum, wo alles vorbereitet wird. Das mit der Einladung ist genau die Sache: Wir warten so lange, bis ein offizielles Hilfegesuchen des Landes veröffentlicht wird. Vorher dürfen wir nicht ausreisen. In dem Moment, als dieses Hilfeersuchen von der Türkei offiziell rausgeschickt worden ist, wurde uns von der Chefetage gesagt, dass wir jetzt in den Einsatz gehen dürfen.

Kommt diese offizielle Einladung direkt an die Bundesregierung oder an Zivilorganisationen?

Das ist tatsächlich unterschiedlich. Wenn man bilaterale Beziehungen hat, kann es sein, dass man das auf direktem Wege bekommt. Oder es gibt auch eine Internetseite, auf der alle internationalen Hilfsorganisationen vernetzt sind und auf der auch dokumentiert wird, welches Erdbeben gerade wo stattgefunden hat und wo Hilfe benötigt wird. Da kann die türkische Regierung auch ein Hilfegesuch veröffentlichen.

Wussten Sie vor der Ankunft in der Türkei um das Ausmaß des Erdbebens oder haben Sie sich erst vor Ort ein Bild machen können?

Wir versuchen immer, möglichst viele Informationen im Vorhinein zu bekommen. Man hat meist nur die groben Fakten und Zahlen. Das wirkliche Ausmaß wird einem erst vor Ort bewusst.

Sie waren erst in Gaziantep und dann in Kırıkhan. Was genau haben Sie dort gemacht und waren Sie bei der Rettung Zeyneps dabei?

Meine eigene Aufgabe vor Ort ist im Bereich des Managements, also zu organisieren, was benötigt wird. Zum Beispiel ob wir Dolmetscher oder Busse brauchen und an der Einsatzstelle auch den Kontakt zu halten. Vor Ort bin ich auch direkt an die Einsatzstelle gefahren. Bei der Bergung von Zeynep war tatsächlich das ganze Team vor Ort. Normalerweise arbeiten wir in Schichten und wechseln uns nach 12 Stunden ab, aber in dem Fall war das ganze Team so mitgenommen, weil die Bergung über so viele Tage gedauert hat. Beide Teams sind vor Ort geblieben, damit dann auch wirklich alle in dem Moment unterstützen können, wo Zeynep dann ans Tageslicht gekommen ist.

Können Sie die Rettungsarbeit in der Türkei mit Ihren vorherigen Erfahrungen in anderen Ländern vergleichen?

Ich war vor zwei Jahren in Haiti. Man kann es nicht wirklich vergleichen. Zum einen hatte ich das Gefühl, dass man sich hier in der Türkei noch näher gefühlt hat, denn man hat auch selbst Freunde, die aus der Türkei kommen und man hat dort auch schon Urlaub gemacht. Da ist eine andere Beziehung dazu gewesen. Was auch auffällig war, ist, dass Haiti von den Häuserstrukturen ganz weit weg von dem, was wir kennen, ist. Es gibt dort viele Hütten. In der Türkei war das Gefühl eher, als würde es in der Heimat passieren. Die Gebäude sind ähnlich und es war insofern schwer zu vergleichen.

Viele Opfer haben sich gefragt, wo der Staat ist und warum er nicht rechtzeitig hilft. Haben Sie diese Wut der Bürger selbst erlebt?

Wir haben nicht direkt die Wut erlebt, aber die Hilflosigkeit. Als wir gelandet sind, hieß es, dass in Kırıkhan keine wirkliche Hilfe angekommen ist. Wir haben vom Katastrophenschutz AFAD die Beauftragung bekommen, dass wir direkt in diese Stadt reisen, weil da bisher so wenig Hilfe vor Ort war.

Aus welchem Grund war niemand vor Ort? War man nicht auf diese schlimme Situation vorbereitet?

Ich glaube nicht, dass es die Vorbereitung, sondern dass es das Ausmaß war. Es ist sehr schwierig, alles in kurzer Zeit so zu organisieren, dass die Teams schnell an allen Orten sind.

Die internationale Solidarität war sehr groß. Die verschiedenen Rettungsteams kommen aus unterschiedlichen Ländern. Haben die Erdbebenopfer diese Solidarität gemerkt? Wie waren die Reaktionen der Menschen?

Man wurde überall mit sehr viel Hoffnung begrüßt. Man gemerkt hat, man ist nicht mehr alleine, denn es ist ein Team da, welches hilft und unterstützt. Wir hatten teilweise auch die Situation an manchen Einsatzstellen, dass ganz klar gesagt wurde: „Wir möchten eure Hilfe, weil wir gemerkt haben, ihr habt das Wissen und die Erfahrung“. Da hat man nichts mehr davon gespürt, dass man aus unterschiedlichen Ländern kommt. Es war ein Miteinander-Arbeiten und ein Vertrauen von allen Seiten.

Sie wurden in Deutschland am Flughafen von türkeistämmigen Familienangehörigen empfangen. Wie waren Ihre Eindrücke und Gefühle?

Das war überwältigend. Wir sind meistens gar nicht gewohnt, dass man so viel Aufmerksamkeit für die Arbeit bekommt, weil es auch nicht das ist, wofür man es macht. Es ist eine unglaubliche Wertschätzung. Es waren so viele Leute da, die uns kleine Geschenke mitgebracht und Plakate gebastelt haben und das ist ein unglaubliches Gefühl, so empfangen zu werden.

Es sind jetzt Tage her und die Zahl der Opfer ist auf zehntausende Menschen gestiegen mit der Tendenz, dass es noch viele weitere Opfer geben wird. Was kann man noch machen auf Seiten des deutschen Staates und auch seitens der deutschen und türkeistämmigen Bürger?

Natürlich kann man immer Spenden sammeln, ob es nun finanzielle Spenden oder Hilfsgüter sind. Es wird jetzt ganz viel humanitäre Hilfe vor Ort benötigt, weil so viele Menschen ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Das ist es jetzt, was man noch tun kann.

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