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Medikamenten-Lieferengpässe wurzeln im System

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt über 300 Meldungen zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln auf, bei rund 100.000 in Deutschland zugelassen Medikamenten. Hört sich wenig an. Daher sieht die Behörde aktuell keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlechterung der Versorgungslage in Deutschland. Für viele knappe Medikamente gebe es oft Alternativen. Ein Lieferengpass sei noch kein Versorgungsengpass. Derzeit gebe es nur rund zehn Meldungen zu versorgungskritischen Wirkstoffen, obwohl Apotheken anhaltende Lieferengpässe bei einer Reihe von Arzneimitteln beklagen, darunter sind Fiebersäfte für Kinder, Magensäureblocker, Hustensäfte und Blutdruckmittel. Die Probleme haben in den vergangenen Monaten zugenommen. Der Apothekerverband erwartet für 2023 sogar eine Steigerung der Lieferdefizite. Lieferengpässe haben sich in Deutschland von 2017 bis 2019 jeweils nahezu verdoppelt. EU-weit verzwanzigfachten sich zwischen 2000 und 2018 Medikamenten-Lieferengpässe.

Eine undurchdachte Aufforderung aus dem Gesundheitsministerium, Medikamentenflohmärkte zu organisieren, in der Nachbarschaft zu teilen und gar abgelaufene Medikamente weiter zu konsumieren, wurde zeitgleich zurückgerufen, weil Ärzte und Wissenschaftler vor Nebenwirkungen von abgelaufenen Medikamenten warnten. Einen grundsätzlichen Medikamentenmangel gibt es in Deutschland bereits seit Jahren. Dieser Medikamentenmangel zeigt, dass der immer so hoch gepriesene Markt nichts „regelt“, außer dass die Profite der Pharmamonopole steigen. Auf Patienten, die auf Arzneimittel angewiesen sind, wird keine Rücksicht genommen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben im letzten Jahr 46,6 Mrd. EUR für Arzneimittel ausgegeben. Die Pharmaindustrie macht fette Gewinne, aber ist nicht in der Lage alle Patienten mit sicheren und wirksamen Arzneimitteln zu versorgen, wenn der Preis nicht stimmt.

Mehr Gewinn bei rückläufigen Verkaufsmengen

Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie erwartet nach einem Produktionseinbruch weitere Rückgänge im kommenden Jahr. Die Herstellung werde kräftig sinken, teilte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit, allein die Herstellung der besonders energieintensiven Chemie schrumpfe um rund 10 Prozent. „Einen ähnlich starken Einbruch bei der Produktion gab es zuletzt 2009 als Folge der Weltwirtschaftskrise“, erklärte der VCI und deutet darauf hin, dass wir uns auf eine Wirtschaftskrise hinbewegen.

Der Umsatz der Pharmabranche für 2022 deutet aber auf was anderes. Dieser ist um gut 17 Prozent auf den Rekordwert von 266,5 Milliarden Euro geklettert. Der Grund: Die stark gestiegenen Preise für chemische Erzeugnisse, die um 22 Prozent zulegten, bei rückläufigen Verkaufsmengen, wohl angemerkt! Also weniger Absatz, mehr Gewinn!

Unternehmen ziehen sich hierzulande aus Produktion zurück

Der Verband Pro Generika beklagt den Kostendruck, der in Deutschland herrsche. Generika sind wirkstoffgleiche Nachahmerprodukte von Arzneien, deren Patentschutz abgelaufen ist und somit von jedem produziert werden können. Diese decken knapp 80 Prozent des Arzneibedarfs der gesetzlichen Krankenkassen ab. Gemessen an dem, was die Kassen den Firmen für Generika bezahlten, rangiere Deutschland im europäischen Vergleich aber am unteren Ende. Somit ist der deutsche Markt für Generika unattraktiv, weil die Festpreise unrentabel sind. So erhalten die Produzenten von Paracetamol-Fiebersäften für Kinder 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. Immer mehr Hersteller zögen sich deswegen aus der Produktion in Deutschland zurück. Inzwischen ist mit „Ratiopharm“ nur noch ein deutscher Hauptanbieter von Kinderfiebersäften übrig, was den Engpass erkläre. Das bedeutet aber nicht, dass es diese Medikamente in anderen Ländern auch nicht mehr gebe.

Hubertus Cranz vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller bemängelt, dass die Deckelung der Medikamentenpreise dazu führe, „dass man in die roten Zahlen kommt“ und „es lohnt sich dann nicht, die Produkte weiterhin auf den Markt zu bringen.“ Und das ist schlicht eine Verdrehung der Tatsachen: Die fünf weltgrößten Pharmakonzerne fuhren 2022 allein ca. 100 Milliarden Dollar Profite ein! Es geht der Industrie nicht um Gesundheit, sondern um Maximalprofite. Die Pharmaindustrie behandelt keine Menschen, sondern verkauft Medikamente und wenn die Gewinnmarge nicht passt, wird die Produktion eingestellt. So einfach ist das Prinzip.

Maßnahmen der Regierung sind keine Lösung

Die Bundesregierung will dem angeblich entgegenwirken und plant, dass die Krankenversicherungen 50% mehr als den vorgesehenen Festbetrag an die Konzerne zahlen sollen. Das würde diese anreizen, mehr in Deutschland zu produzieren. Doch dieses Vorhaben zielt nur auf eine Steigerung der Profite der Pharmakonzerne ab. Selbst wenn die Produktion in Deutschland oder in Europa ausgebaut würde, was übrigens mehrere Jahre dauern würde, bis sich das positiv auswirkt, indem man den Krankenkassen auferlegt, einen Teil dieser Medikamente vom „europäischen Standort“ zu kaufen, bedeutet dies, dass am Ende die Beitragszahler die Kosten zahlen müssen, also die Krankenversicherungen ihre Beiträge erhöhen würden.

Das kapitalistische Produktionsweise ist das Problem

Ein Teil der bürgerlichen Linken fordert, dass die Pharmaindustrie „dem Gemeinwohl verpflichtet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden“ soll. Die Bundesregierung dürfe nicht weiter tatenlos zuschauen, wenn Schwerkranken und Kindern wichtige Medikamente fehlen, weil die Patente darauf ausgelaufen und die Produktion für die Konzerne nicht rentabel seien.

Doch die „demokratische Kontrolle“ der Pharmaindustrie ist eine Illusion. Die Forderung muss lauten, die Gesundheitsversorgung kostenlos, flächendeckend und menschenwohlorientiert zu gewährleisten und Patente abzuschaffen, um eine flächendeckende Medikamentenversorgung nach hohem Standard zu gewährleisten. In kapitalistischer Denkweise handeln Konzerne richtig und produzieren nur das, was ihnen Profit beschert. Doch darf das das Kriterium sein, dass Sektkorken knallen? Oder geht es um die Gesundheit und Versorgung von Patienten?

Die von der Pharmalobby vorgeschobenen Rabattverträge der Krankenkassen mit den Herstellern sollen lediglich eine Umverteilung der Gelder zugunsten vor allem deutscher Hersteller erwirken. Dass die Mehrkosten der Krankenkassen auf die Beitragszahler umgewälzt werden, versteht sich im Kapitalmaximierungssinne von selbst, denn die Steigerung der Umsätze ist das entscheidende Kriterium. Ethik und Moral, oft verwendete Begriffe in diesem Zusammenhang, haben im Kapitalismus keinen Wert!

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