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Zur kapitalistischen Inbetriebnahme der Migration

Dilan Baran

Die jüngsten Ankündigungen einer Gesetzesreform zum Staatsangehörigkeitsrecht im Zuge einer Anwerbekampagne für ausländische Arbeitskräfte lässt den einen oder anderen Kritiker restriktiver Einwanderungs- und Einbürgerungspolitik der Bundesrepublik aufhorchen. Denn die Gesetzesnovelle beinhaltet einige lange geforderte Erleichterung bestimmter Hürden zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und soll mit dem Chancengleichheitsgesetz sogar den Zugang zu unbefristetem Aufenthalt von geduldeten Menschen erleichtern. Gleichzeitig treibt die Bundesregierung in der EU eine Asylrechtsreform voran, die beängstigende Szenarien eines „Migrationsdrucks“ schürt, der anders nicht zu bewältigen sei, vor allem aber eine mörderische Abschottungspolitik legitimieren soll. Wem sich das als Widerspruch darstellt, muss allerdings nur ein Blick in die Geschichte der Einwanderungspolitik der BRD werfen. Die war immer unter Nützlichkeits- und Verwertungsfragen oder außenpolitischen Interessen entschieden und führte über die Jahrzehnte zu einer Reihe von gegensätzlichen Bestimmungen, von denen einige fortschrittlich, die anderen rückständig daherkommen.

Zur Zeit der Arbeitskräfteanwerbung der 50er und 60er Jahre boomt die Wirtschaft in Deutschland und es braucht viele günstige Arbeiter:innen. Zudem ist die Türkei schon damals außenpolitisch ein geostrategisch wichtiger Partner, mit dem man die Beziehungen über das Abkommen stärken will. Die Hochzeit der Arbeitskräfterekrutierung aus der Türkei findet Anfang der siebziger Jahre statt, wo die ausländischen Arbeiter:innen nicht nur für den Wiederaufbau und Wirtschafsboom, sondern auch für die Umsetzung der sozialliberalen Reformen von Willy Brandt elementar werden.

Die Regierung will in diesen Jahren die Schulpflicht erhöhen. In den Tarifverträgen werden die Urlaubstage durchgesetzt, es sollen mehr junge Leute an die Universitäten geschickt werden, das Rentenalter wird reduziert. Folglich fordern die Arbeitgeber, dass man ihnen die Arbeitskräfte ersetzt.

Eine rassistische Arbeitsteilung wird geschaffen, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegeneinander ausspielt.

Mit den migrantischen Kämpfen der ersten Jahre der 70er wird die Mitbestimmung bei Betriebsratswahlen erlaubt und die eigewanderten Arbeiter:innen, auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft, in die gewerkschaftlichen Kämpfe intergiert. Mit den teilweise errungenen verbesserten Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen, und der Öl-Krise werden die ausländischen Arbeitskräfte allerdings auch gleich weniger kapitalistisch verwertbar, zudem fürchtet man die inzwischen mündigen und widerständigen Gastarbeiter:innen. 1973 folgt der Anwerbestopp. In den darauffolgenden Jahren versucht man Einwanderungsprozesse zurückzudrängen.

Rückkehrprämien werden von den Sozialdemokraten vorbereitet und unter der Regierung Kohl durchgesetzt. Sie bewirken jedoch kaum Rückwanderung. Nur ein paar hundert Tausend kehren zurück. Die Töne werden rauer, die Politik begünstigt soziale, politische Ausgrenzungs- und Marginalisierungsprozesse. Zudem ändert sich die Rhetorik, die in den 80er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt. Erste rechtsextreme Ausländerstopp- Listen bilden sich. Man spricht von einem „Türkenproblem“. Von einer völlig anderen Kultur, die die Türken hätten. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion ist zudem die Versorgung deutscher Unternehmen mit neuen günstigen Arbeitskräften vorerst ausreichend aus dem Osten gesichert. Bis heute ist die Einbürgerungsquote einer sonst restriktiven Einbürgerungspolitik der BRD in der Gruppe der sogenannten deutschen Aussiedler aus den Regionen Osteuropas und Russlands am höchsten. 1992 wird das Kommunalwahlrecht für EU-Bürger:innen eingeführt und das Asylrecht stark beschränkt, aber im Grunde genommen verlaufen die Einwanderungsprozesse der 1990er sogar umfangreicher. D.h., in der Zeit der propagierten geschlossenen Grenzen findet die größte Einwanderungsbewegung der Geschichte statt. Eine Beobachtung, die die Argumente für Abschreckung und Abschottung auch aus dieser Perspektive in Frage stellen. Nach der Wiedervereinigung bricht zudem eine neue Welle rechten Terrors in Deutschland aus. Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen sind einige Beispiele dafür.

Die Regierenden sind gezwungen die Einwanderungsrealität anzuerkennen. Die Revision der Anwerbepolitik hat nicht funktioniert. Keine Hetz- und Ausgrenzungskampagne kann die Einwanderung stoppen. Zudem erfordert die wachsende Globalisierung des Außenhandels neue Überlegungen zu Migration, denn der ansteigenden Exportlieferungen deutscher Unternehmen lässt diese erneut nach günstigen Arbeitskräften rufen. Der schlechte Ruf von Deutschlands rechtem Terror muss irgendwie ausgebügelt werden. Weltoffenheit und Toleranz werden zu den neuen Schlagwörtern und man beginnt das Staatsangehörigkeitsrecht zu liberalisieren. Das Staatsangehörigkeitsgesetz per Geburt wird eingeführt. Deutschland wird außerdem offiziell vom Bundestag als Einwanderungsland anerkannt.

Mit der Verkündung der Agenda 2010 im 2003 beginnt der umfassendste Angriff auf die Klasse der Lohnabhängigen seit Ende des Krieges. Riesige Bereiche der Arbeit werden prekarisiert. 2004 werden 8 Staaten, undzwar Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Estland, Lettland und Litauen neue EU- Beitrittsstaaten (2007 kommen außerdem Rumänien und Bulgarien dazu). Sie werden in den Folgejahren Stück für Stück große Teile Deutschlands prekärer Arbeit in der Landwirtschaft, der Lebensmittelherstellung, der Pflege und auf dem Bau übernehmen.

Am 18. August tritt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – umgangssprachlich Antidiskriminierungsgesetz – in Kraft. Gleichzeitig führen erste Bundesländer Einbürgerungstest für Bewerber der deutschen Staatsbürgerschaft ein.

Die Verwertung der Migration äußert sich auch aktuell wieder in einer haarsträubenden Parallelität von der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und den Bestrebungen Pushbacks gegen und Gefängnisse für Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen mit der GEAS-Reform zu legalisieren. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Regierenden einer global kapitalistischen, national regierten Volksgemeinschaft. Es braucht Einwanderer und dafür auch eine gewisse Offenheit und Toleranz, gleichzeitig soll weiter abgeschreckt und abgeschottet werden gegenüber ungewollten Geflüchteten, so kann nebenbei auch künftigen Migrationsbewegungen, die im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel stehen, präventiv ein Riegel vorgeschoben werden.

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